

Institut für
SF Seefischerei
Projekt
Tot oder lebendig? Beifang des ältesten Wirbeltiers der Welt

Beifang- und Rückwurfüberlebensraten von Grönlandhaien in der kommerziellen Schleppnetzfischerei
Haie gehören zu den am stärksten bedrohten Wirbeltiergruppen. Gut ein Drittel der bekannten Arten sind nach aktueller Einschätzung vom Aussterben bedroht, und der Anteil der betroffenen Arten nimmt stetig zu. Hauptursache für den drastischen Rückgang vieler Haipopulationen ist die Fischerei. Viele Haie sind durch langsames Wachstum, späte Geschlechtsreife und geringe Nachkommenzahl sehr anfällig für Überfischung. Dies gilt in besonderem Maße für den Grönlandhai. Jahrhundertelange Befischung hat die Population dieses arktischen Räubers stark schrumpfen lassen. Auch wenn der Fang und die Anlandung inzwischen weitgehend verboten sind, können sich bereits geringe Beifangraten in der kommerziellen Fischerei negativ auf die Bestandsentwicklung auswirken. Entscheidend ist hier die Kenntnis der Sterblichkeit der Haie durch unbeabsichtigten Beifang, die wir im Rahmen dieses Projektes ermitteln wollen.
Hintergrund und Zielsetzung
Grönlandhaie (Somniosus microcephalus) sind in Bodennähe oder im tiefen Freiwasser lebende, sehr große Haie, die vor allem in kalten, arktischen Meeresgebieten des Nordatlantiks verbreitet sind. Biologische Besonderheiten der Grönlandhaie sind ihre enorme Größe – bis zu 640cm -, ihr sehr langsames Wachstum und ein außergewöhnlich hohes maximales Lebensalter (vermutlich bis über 400 Jahre). Auch die Fortpflanzung der Grönlandhaie ist – soweit bekannt- bemerkenswert: Weibliche Tiere erreichen erst mit ungefähr 150 Jahren die Geschlechtsreife und bringen dann vermutlich alle zwei Jahre zwischen zwei und zehn Nachkommen zur Welt.
Gerade aufgrund ihrer Biologie und der enorm langen Generationszeiten gelten viele Haie durch Fischerei aktuell als vom Aussterben bedroht – so auch die Grönlandhaie. Absolute und globale Zahlen zur Populationsgröße von Grönlandhaien existieren allerdings nicht. Trends aus verschiedenen Datenquellen zeigen einen anhaltenden Rückgang der Population seit dem frühen 17. Jahrhundert, bedingt durch jahrzehntelange intensive und gezielte Befischung. Grönlandhaie werden durch die kommerzielle Fischerei mittlerweile nicht mehr gezielt befischt, jedoch als Beifang in verschiedenen Fischereien erfasst. Solche Fischereien sind zum Beispiel Grundschleppnetzfischereien auf Schwarzen Heilbutt (Reinhardtius hippoglossus) und Eismeergarnele (Pandalus borealis). Die Tiere müssen neuen Bestimmungen nach wieder freigelassen werden und dürfen nicht an Bord behalten werden. Die aktuell angenommenen Gesamt-Beifänge von ca. 3500 Individuen pro Jahr würden - basierend auf der geschätzten Populations-Zuwachsrate des Grönlandhais - jedoch nach wie vor ausreichen, um einen weiteren Rückgang der Gesamtpopulation zu bewirken.
Bei dieser Einschätzung ist zu beachten, dass das angenommene Beifangniveau zum einen auf möglicherweise nicht ausreichend vorhandenen Beobachterdaten sowie zum anderen auf einer 100%igen Rückwurfmortalität basiert, d.h. es wird angenommen, dass die nach dem Fang über Bord geworfenen Individuen allesamt tot sind oder nach dem Rückwurf sterben. Die Art könnte jedoch eine moderate - aktuell nicht bekannte – Rückwurf-Überlebenswahrscheinlichkeit haben. Für Grönlandhaie liegen nur sehr wenige Untersuchungen zur Rückwurf-Überlebensrate vor. Angaben von Beobachtern zufolge werden in Grundschleppnetz- und Langleinenfischereien einige gefangene Grönlandhaie lebendig wieder über Bord gegeben. Basierend auf der limitierten Datengrundlage wird jedoch davon ausgegangen, dass die Beifangsterblichkeit von Grönlandhaien besonders in der Schleppnetzfischerei generell sehr hoch ist. Zu möglichen späteren Sterblichkeiten durch entsprechenden Stress bzw. Verletzungen nach dem Freilassen noch lebender Tiere (Rückwurfmortalität) liegen keine Daten vor. Kenntnisse zur Rückwurfmortalität bei Grönlandhaien nach Beifang in der kommerziellen Schleppnetzfischerei sind jedoch erforderlich, um den Populationstrend künftig durch eine verbesserte Einschätzung der fischereilichen Sterblichkeit besser bewerten zu können. Weiterhin können eventuell Maßnahmen abgeleitet werden, die das Beifangniveau absenken bzw. die Rückwurf-Überlebenswahrscheinlichkeit erhöhen könnten.
Zielgruppe
Politische Entscheidungsträger im Bereich Meeresumweltpolitik und Fischereipolitik (GFP); Meereswissenschaftler; interessierte Öffentlichkeit
Vorgehensweise
Wir begleiten kommerzielle Grundschleppnetzfischereien bei deren Fangaktivität in den Gewässern um Grönland. Wenn es zum ungewollten Fang eines Grönlandhais kommt, wird dieser nach dem Verbringen an Deck von uns nach einem Bewertungssystem untersucht und der Zustand des Tieres anhand verschiedener Tests und Parameter dokumentiert – Größe, Verletzungen, Lebhaftigkeit, Reflexe etc. Tiere, die dem Bewertungsschema folgend für weitere Untersuchungen geeignet sind, werden dann vor dem Freilassen mit einem Satellitensender markiert, der über einen Zeitraum von 30 Tagen Bewegungsmuster der Tiere aufzeichnet. Aus diesen Aufzeichnungen können wir ableiten, ob die jeweiligen Individuen den Beifang und das anschließende Freilassen überlebt haben.
Daten und Methoden
Für die Markierungsarbeiten werden sogenannte „survivor Pop-Up Archival Transmitting Tags“ (sPAT) verwendet. Die Tags (Markierungen) werden unterhalb der Rückenflosse in der Muskulatur der Tiere verankert. Nachdem ein für die Markierung geeigneter, beigefangener Grönlandhai markiert und wieder freigelassen wurde, aktivieren sich die Tags bei Kontakt mit Meerwasser und beginnen mit der Datenerfassung. Über den vorprogrammierten Zeitraum von 30 Tagen zeichnen die Sender Bewegungsmuster der Haie und tägliche Minimal- und Maximaltiefen der Tiere auf. Während dieser Phase besteht kein „Kontakt“ zum markierten Hai, d.h. wir wissen während der Datenerfassung nicht, wo sich der Hai aufhält oder was das Tier gerade macht. Nach Ablauf der Messphase löst sich der Sender vom Tier und steigt an die Wasseroberfläche. Dort werden die gespeicherten Messdaten dann über ARGOS-Satelliten übermittelt.
Aus den Bewegungsmustern können wir ableiten, ob der Hai den Fang und Rückwurf überlebt hat, wobei einer Definition nach „Überleben“ angenommen wird, wenn der Hai nach 30 Tagen, also am Ende der Aufzeichnungsperiode und zum Zeitpunkt der Ablösung der Markierung, noch aktiv schwimmt.
Eine zusätzliche Markierung der Haie mit einem sogenannten „Spaghetti-Tag“ - einer Art Ohrmarke - dient der Erfassung weiterer Daten für den Fall, dass der Hai nach dem Ablösen der Satellitenmarkierung zu einem späteren Zeitpunkt wieder gefangen wird.
Unsere Forschungsfragen
- Wie hoch ist die Beifangmortalität unbeabsichtigt gefangener Grönlandhaie in der kommerziellen Grundschleppnetzfischerei auf Schwarzen Heilbutt (hier: „haulback mortality“ bzw. „at-vessel mortality“ - also: Wie viele der gefangenen Haie sind beim Einholen des Netzes bereits tot bzw. sterben, während sie an Deck sind?).
- Wie hoch ist die Rückwurfmortalität unbeabsichtigt gefangener Grönlandhaie in der kommerziellen Grundschleppnetzfischerei auf Schwarzen Heilbutt – also: Wie viele der lebend über Bord gegebenen Haie überleben Fang und Rückwurf?
- Können aus neuen Daten zur Beifangsterblichkeit verbesserte Eingangsparameter zur Populationsabschätzung und „Best practices“ (Handlungsempfehlungen) zur Vermeidung hoher Beifangsterblichkeiten abgeleitet werden?
Vorläufige Ergebnisse
Aktuell finden Voruntersuchungen zum Zustand beigefangener Grönlandhaie statt (Bewertungsschema) bzw. zur Eignung der jeweiligen Individuen für die Markierung vor dem Rückwurf.
Zeitraum
7.2024 - 12.2027
Weitere Projektdaten
Projektstatus:
läuft




