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© Kay Panten
Institut für

SF Seefischerei

Projekt

Auswirkungen der Garnelenfischerei auf den Meeresboden (CRANIMPACT)


Federführendes Institut SF Institut für Seefischerei

© Thünen-Institut/ H. Fock

Auswirkungen der Garnelenfischerei auf Habitate und Lebensgemeinschaften im Küstenmeer der Norddeutschen Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen

Grundberührende Fangmethoden stehen in der Kritik die Lebensräume am Meeresboden zu zerstören. Es gibt jedoch eine Vielzahl an Kombinationen von Fanggeräten, Lebensräumen und Ökosystemen, sodass man eine Aussage in dieser Pauschalität kritisch hinterfragen muss. Jede Kombination von Fanggerät und Lebensraumtyp zieht unterschiedliche Grade der Beeinflussung bzw. der Zerstörung von Lebensräumen und Lebensgemeinschaften am Meeresboden nach sich. Obwohl die grundsätzlichen Wirkmechanismen der Fischerei auf den Meeresboden mittlerweile wissenschaftlich gut verstanden sind, kann man diese grundlegenden Erkenntnisse nicht einfach für regionale Bewertungen heranziehen. Jeder Lebensraumtyp ist in seiner regionalen Ausprägung so einzigartig, dass für eine genaue Bewertung die spezielle Kombination aus Lebensraum, assoziiertem Ökosystem und Fanggerät untersucht werden muss. CRANIMPACT stellt sich dieser Aufgabe für die Garnelenfischerei im deutschen Wattenmeer und wird in einer Kombination aus Feldexperimenten und Analysen historischer Daten Erkenntnisse für eine Neubewertung der ökosystemaren Auswirkungen der Garnelenfischerei als Basis für Managemententscheidungen gewinnen.

 

Hintergrund und Zielsetzung

Seit der Gründung der Nationalparke Schleswig-holsteinisches und Niedersächsisches Wattenmeer 1986 war die Durchführung der Fischerei im Wattenmeer Gegenstand politischer Kontroversen, spiegelbildlich wiedergegeben durch die Formulierungen der entsprechenden Nationalparkverordnungen mit einem 'sowohl – als auch', nämlich einerseits die gewerbsmäßige Fischerei zuzulassen, aber deren Orientierung am Schutzzweck zu verlangen. Die durch das Umweltbundesamt finanzierte 'Ökosystemforschung Wattenmeer' von 1989 bis 1996 sollte ausreichend Forschungsdaten für ein effizientes Management in den Nationalparken bereitstellen, doch spätestens die Ministererklärung der Wattenmeeranrainerstaaten 2014 ('Ministererklärung von Tønder') hat die öffentliche Diskussion um Umweltfolgen der Seefischerei neu befeuert. Hierin haben sich die Anrainerstaaten Dänemark, Deutschland und Die Niederlande auf ein Grundsatzprogramm für nachhaltige Fischerei verständigt, um vergleichbare Bedingungen für eine nachhaltige Fischerei in allen drei Wattenmeeranrainern voranzubringen und einen Dialogprozess mit Interessensvertretern und Behörden zu beginnen. Die Anwendung moderner Forschungstechnologie u.a. mit Unterwasser-GPS-Ortung zur Erfassung von Fanggeräten und hydroakustischen Kartierungs-Methoden sowie die satellitengestützte Auswertung von Fischereiaktivitäten erlaubt nun eine Neubewertung der Umweltfolgen der Garnelenfischerei im Wattenmeer.

 

Zielgruppe

Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit

 

Vorgehensweise

Im Projekt werden zwei komplementäre Ansätze verfolgt: Analysen der Zusammensetzung der Bodenlebensgemeinschaften entlang von Gradienten fischereilicher Intensität und die Untersuchung der Regeneration von Bodenstrukturen und -lebensgemeinschaften nach experimenteller Befischung. Als Referenzgebiet werden erstmals Bodenstrukturen und -lebensgemeinschaften in einem Teil des dänischen Wattenmeeres untersucht, wo Krabbenfischerei seit Jahrzehnten verboten ist. Darüber hinaus wird der physikalische Einfluss der Krabbenfischerei mit Baumkurren auf die vorherrschenden Lebensraumtypen im Küstenmeer quantifiziert. Für die praktischen Arbeiten auf See kommen sowohl kommerzielle Krabbenkutter der Erzeugergemeinschaft der Deutschen Krabbenfischer zum Einsatz, wie auch kleinere Forschungsschiffe, die speziell für den Einsatz im flachen Wattenmeer konzipiert sind. Die Untersuchungsgebiete erstrecken sich vom Lister Tief nördlich der Insel Sylt bis zur Blauen Balje südlich des Jadebusens im Niedersächsischen Wattenmeer.

Neben den praktischen Arbeiten auf See werden verschiedene Datensätze, unter anderem Langzeiterhebungen der Bodenlebensgemeinschaften und Satellitenüberwachungsdaten aus der Fischerei, ausgewertet, um die längerfristigen Anpassungserscheinungen der Ökosysteme an Fischerei in die Bewertungen einbeziehen zu können. In den biologischen Analysen stehen die Auswirkungen der Fischerei auf die Ökosystemfunktionalität und -leistungen besonders im Fokus. Untersuchungen historischer Veränderungen im Wattenmeer haben gezeigt, dass gerade diese sogenannten „Traits“, also bestimmte Merkmalskombinationen von Organimsen und Gemeinschaften, besonders geeignete Ansatzpunkte zum Verständnis von grundlegenden Veränderungen im Ökosystem sind.

Die Projektergebnisse liefern eine fundierte wissenschaftliche Grundlage für Managementmaßnahmen und Bewirtschaftungspläne für die Krabbenfischerei im Küstenmeer, wie sie z.B. im Rahmen der MSC-Zertifizierung (sog. Marine Stewardship Council) eingefordert werden. Darüber hinaus liefern Sie einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion über die Vereinbarkeit von Naturschutz und fischereilicher Nutzung im Nationalpark Wattenmeer.

 

Daten und Methoden

In einem experimentellen Ansatz wurden in einem Prielsystem des Sylter Rückseitenwatts und in einem Prielsystem bei Norderney die kurzfristigen und kleinskaligen Auswirkungen der Fischerei nach einem Befischungsereignis und deren Effektdauer untersucht. Die Experimente wurden als sog. Before-
After-Control-Impact-Studien (BACI) ausschließlich auf Fein- und Mittelsand mit Rippelstruktur durchgeführt.
Die langfristigen Folgen der Fischerei wurden mittels Gradientenanalyse im niedersächsischen, schleswigholsteinischen und dänischen Wattenmeer ermittelt. Diese fand sowohl auf Fein- und Mittelsand mit Rippelstruktur als auch auf Sandfeldern mit höherem Schlickanteil und Besiedlung des Bäumchenröhrenwurms Lanice conchilega statt und schloss ein Referenzgebiet im dänischen Wattenmeer ein, in dem seit 1977 Fischerei verboten ist.
Alle Untersuchungen wurden im Sublitoral, d.h. dem ständig überspülten fischereilich nutzbaren Teil des Wattenmeers durchgeführt. Die untersuchten Habitattypen waren repräsentativ für 95 % der gesamten Sublitoralflächen im nWattenmeer. CRANIMPACT adressierte explizit keine sensiblen und seltenen Habitate, sondern fokussierte auf Lebensraumtypen mit hoher fischereilicher Relevanz.

Insgesamt wurden 427 Greiferproben und 52 Dredgenproben aus den Jahren 2019, 2020 und 2021 untersucht - und über 340 wirbellose Arten wurden ausgewertet.

 

Unsere Forschungsfragen

  • Wie wirkt sich die Garnelenfischerei mit Baumkurren in unterschiedlichen Habitattypen der küstennahen südliche Nordsee aus (Lanice-Feldern, Sandrippelfelder)?
  • Wie unterscheidet sich ein unbefischtes Gebiet hinsichtlich der Artenzusammensetzung und der Lebensformtypen von leicht und häufiger befischten Flächen?
  • Wie lässt sich die natürliche Sedimentumlagerung und die fischereiche Störung methodisch verbinden?

Ergebnisse

Die Besiedlungsstruktur der Flächen für die BACI-Experimente (sog. Before-After-Control-Impact-Studien) war durch eine hohe räumlich-zeitliche Variabilität gekennzeichnet, die für die im Sediment lebenden Arten schon vor Experimentbeginn zu signifikanten Unterschieden zwischen Kontroll- und Störungsflächen führte und die Detektion von Fischereieffekten erschwerte. Dennoch konnten für einzelne Arten sowohl der im Sediment lebenden (= Endofauna) wie auch der auf dem Sediment lebenden Tiere (= Epifauna) signifikante Fischereiauswirkungen festgestellt werden. Aufgrund der ausgeprägten kleinskaligen Variabilität lag allerdings keine statistische Häufung signifikanter Ergebnisse für die Unterschiede zwischen Störung und Kontrolle vor.

In einem Experiment vor List wurde zusätzlich der sog. "scavenger-Effekt" - also das Einwandern epibenthischer, aasfressender Arten nach der fischereilichen Störung - untersucht. Ein solcher Überkompensationseffekt durch Nahrungsopportunisten konnte nicht nachgewiesen werden. Dort wo signifikant negative Abundanz- oder Biomasseneffekte in der Endofauna auftraten (u.a. verursacht durch Änderungen u.a. bei Bathyporeia spp. oder Spioniden) lag die modellierte Effektdauer im Bereich von 12-20 Tagen. Damit können diese Auswirkungen als kurzfristig bezeichnet werden. Für weniger häufige, oftmals sensible oder langlebige Arten konnten diese Berechnungen nicht angestellt werden.

209 der über 340 ausgewerteten wirbellosen Arten sind in unsere Gradientenanalyse eingegangen.

Hier konnten 2 Hauptgemeinschaften (Assoziationen) identifiziert werden:

Eine Bathyporeia spp.-Assoziation auf Fein- und Mittelsanden und eine Lanice conchilega-Assoziation in Fein- und Mittelsanden mit erhöhtem Schlickanteil. Innerhalb beider Assoziationen konnten Unterassoziationen identifiziert werden, die sich u.a. anhand der Fischereiintensität differenzieren ließen. Das statistische Modell konnte 22.6 % der beobachteten Varianz erklären. Hiervon entfielen 10.3 % auf die Sedimentzusammensetzung (Schlickgehalt) und 8.9 % auf die Fischereiintensität. Der Übergang von unbefischten Referenzstationen und Stationen mit niedriger Fischereiintensität zu Stationen mit hoher Fischereiintensität lag bei etwa 1.5 Überfischungen pro Jahr und war durch die Abnahme kleiner Arten < 1 cm Körpergröße gekennzeichnet, während die Abundanz größerer, räuberischer Arten und damit auch die Langlebigkeit zunahm.

Die hohe Ähnlichkeit der unbefischten Stationen mit den Stationen mit niedriger Fischereiintensität deutet an, dass die Endofauna an die hohe natürliche Störung im Wattenmeer angepasst und somit auch resilient gegenüber niedriger Fischereiintensität ist. Bei den Stationen mit hoher Fischereiintensität stieg in beiden Assoziationen die Gesamtbiomasse der Endofauna mit der Fischerei an. Eine negative Beziehung zwischen Diversität und Fischereiintensität konnte nicht festgestellt werden.

  • Schlussfolgerungen

In der Gesamtschau der Experimente konnte keine statistisch signifikante Häufung von Effekten durch fischereiliche Störung gemessen werden und dort, wo Effekte auf Art Ebene gemessen werden konnten, war die berechnete Effektdauer mit maximal 20 Tagen vergleichsweise kurz.  

Passend zu diesen Ergebnissen erwiesen sich die Gemeinschaften in der Gradientenanalyse (GA) bei niedrigen Fischereiintensitäten als resilient gegenüber niedrigen Fischereiintensitäten und änderten sich erst bei hoher Fischereiintensität. Ersteres kann als evolutive Anpassung an die vergleichsweise hohe natürliche Störung im Wattenmeer interpretiert werden. Kleinskalige lokale Austauschprozesse der Driftfauna zwischen gestörten und ungestörten Bereichen können für diese Arten Effekte der Garnelenfischerei zudem relativ schnell ausgleichen, was zu den kurzen berechneten Effektzeiten passt. Bei höherer Fischereiintensität traten in der Gradientenanalyse hingegen Verschiebungen in den Lebensgemeinschaften auf. Die sog. 'biological-traits`-Analyse zeigte, dass an diesen Stationen mit hoher Fischereiintensität die Abundanz kleiner Arten < 1 cm Körpergröße abnahm, während die Abundanz größerer räuberischer Arten zunahm und darüber hinaus die Biomasse insgesamt anstieg.

Ob die Fischerei ursächlich für diese Verschiebung in der Zusammensetzung und Funktionalität der Lebensgemeinschaften ist oder aber sich die Zielart Nordseegarnele bevorzugt mit diesen Lebensgemeinschaften vergesellschaftet und die Fischerei dem einfach folgt, lässt sich nicht abschließend anhand der CRANIMPACT-Ergebnisse klären.

 

  • Abschlussbericht CRANIMPACT Fock HO, Dammann R, Mielck F, Kraus G, Lauerburg RAM, López González A, Nielsen P, Nowicki M, Pauly M, Temming A (2023) Auswirkungen der Garnelenfischerei auf Habitate und Lebensgemeinschaften im Küstenmeer der Norddeutschen Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen (CRANIMPACT). Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 240 p, Thünen Rep 107, DOI:10.3220/REP1681989003000 10 MB

Weitere Downloads

Gemäß den Vorgaben des BMEL werden die Daten in Übereinstimmung mit den FAIR-Kriterien (FAIR – Findable, Accessible, Interoperable und Reusable), in denen die notwendigen Schritte für die Nachnutzung von Forschungsdaten erläutert werden, bereitgestellt.

Folgende Daten werden bereitgestellt oder sind bereits online verfügbar.

  • verfügbar: Positionsdaten, Sedimentdaten, Epifaunazusammensetzung, Epifauna traits-Datenbank
  • wird bereitgestellt: Endofaunazusammensetzung, Endofauna traits-Datenbank

Nachfolgend ist das Datenmodell beschrieben, das Verbindungen zwischen den Tabellen entweder über eine Stations-ID oder eine taxonomische ID herstellt. Die Variablenlisten sind vollständig in den Datenanhängen (supplements) abgebildet.

Downloads (PDF)

Traits epifauna supplement

Sediment data supplement

Epifauna data supplement

Station data supplement

Traits Endofauna by genus

Traits Endofauna by species

Endofauna data supplement

Thünen-Ansprechperson

Dr. Gerd Kraus

Telefon
+49 471 94460 100
gerd.kraus@thuenen.de

Beteiligte externe Thünen-Partner

  • Universität Hamburg
    (Hamburg, Deutschland)

Geldgeber

  • Bundesland Schleswig-Holstein
    (national, öffentlich)
  • Bundesland Niedersachsen
    (national, öffentlich)
  • Europäische Union (EU)
    (international, öffentlich)

Zeitraum

8.2018 - 12.2022

Weitere Projektdaten

Projektstatus: abgeschlossen

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