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Institut für

OF Ostseefischerei

Projekt

Dorschtelemetriefeld


Federführendes Institut OF Institut für Ostseefischerei
Beteiligte Institute SF Institut für Seefischerei

© A.Schütz

Akustische Telemetrie an Dorschen und Plattfischen in der Lübecker Bucht

Wie genau leben und überleben Dorsche und Plattfische im Brackwasser-Lebensraum Ostsee? Wir statten Fische mit Sendern aus, so dass sie uns aus ihrem Leben berichten können - und wir besser verstehen, wie sie sich unter verändernden Umweltbedingungen verhalten. 

 

Hintergrund und Zielsetzung

Der Dorschbestand (Gadus morhua) in der westlichen Ostsee ist auf einem historischen Tiefstand. Umweltveränderungen und hoher Fischereidruck sind die wahrscheinlichsten Ursachen für den beobachteten Rückgang. Trotz einer drastischen Reduzierung der Entnahmen in jüngster Zeit zeigt der Bestand keine Anzeichen von Erholung. Eine schlechte Nachwuchsproduktion über viele Jahre hinweg und dünner werdende Dorsche (Receveur et al., 2022) lassen vermuten, dass ungünstige Umweltveränderungen eine wichtige Rolle für den Rückgang spielen. Insbesondere die warme Sommerphase scheint für Dorsche in der relativ flachen westlichen Ostsee eine Flaschenhalsperiode zu sein (Krumme et al. 2020), da sie eher kühlere Temperaturen bevorzugen.  

Über die individuellen Bewegungen und Verhaltensweisen des westlichen Ostseedorsches ist bisher nur wenig bekannt (Hüssy et al., 2020). Neuere Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass die Fische klare saisonale Muster in der Lebensraumnutzung zeigen (Funk et al. 2020). So nutzt der Dorsch der Beltsee tiefere, salzhaltigere und schlammigere Becken nur während des Laichens im Winter. Nach dem Laichen verlagert sich die Verteilung dann zum Fressen in flachere Gebiete an den Hängen, wo er eine klare Präferenz für Gebiete mit hartem Substrat zeigt. Mit der Erwärmung des Oberflächenwassers ist der Dorsch dann gezwungen, die Sommermonate in tiefere Gebiete an den Hängen auszuweichen und die Sommermonate dort zu verbringen. Sobald die flachen Gewässer im Oktober abkühlen, wechselt der Dorsch regelmäßig von seinen Tagesruheplätzen in tieferen Gebieten zu seinen nächtlichen Futterplätzen in sehr flachem Wasser (Burrows et al., 1994; Freitas et al., 2016). Die Hänge spielen offenbar eine Schlüsselrolle für den Dorsch als Übergangsbereich während seinen saisonalen und tageszeitlichen Bewegungen.

Um die Lebensweise der Dorsche besser zu verstehen, untersuchen wir die Lebensraumnutzung, die Bewegungen und das Verhalten adulter westlicher Ostseedorsche in einem natürlichen Hanggebiet in der südlichen Mecklenburger Bucht. Die Ergebnisse einer nahegelegenen Dorschmarkierungsstudie an einem künstlichen Riff (Nienhagener Riff) in der westlichen Ostsee deuten auf eine hohe Standorttreue des Dorsches zu den Riffstrukturen hin. Es ist jedoch unklar, ob dieses Verhalten repräsentativ für das Verhalten von Dorschen außerhalb dieses künstlich angelegten Lebensräumes ist (Dolk, 2015; McQueen et al., 2019).

Das Hauptaugenmerk der Studie liegt auf Dorsch, aber da Plattfische auch ein wichtiger Teil der Lebensgemeinschaft sind und die Dorschdichten derzeit relativ niedrig sind, untersuchen wir in diesem Gebiet die Lebensweise und Bewegungsmuster von Dorschen und Plattfischen gemeinsam. Die Plattfische sind derzeit die wichtigste demersale Ressource der Ostseefischereien und genauere Erkenntnisse zu ihrer Lebensweise sind von großer Bedeutung für eine nachhaltige Nutzung. Details zu den Bewegungsmustern von Plattfischen in der westlichen Ostsee sind nur unzureichend bekannt und Erkenntnisse aus Untersuchungen in anderen Meeresgebieten sind aufgrund der Besonderheiten der Ostsee nur begrenzt übertragbar.

Vorgehensweise

Um kleinskalige Bewegungen einzelner Fische beobachten zu können, verwenden wir die Methode der akustischen Telemetrie. Akustische Telemetrie besteht aus zwei Komponenten: einem Sendegerät (Transmitter) und einem Empfänger (Receiver). Dabei trägt der Fisch den Sender (Hussey et al. 2015). Dieser Sender gibt alle paar Minuten Schallimpulse in das umgebende Wasser ab, die Informationen über den Sender, d.h. den markierten Fisch, enthalten. Dies können zum Beispiel Schwimmtiefe oder -geschwindigkeit sein. Die Sender werden entweder in die Bauchhöhle eingepflanzt oder extern an einem Fisch befestigt, so dass ein markierter Fisch nach dem Freilassen in der freien Natur von jedem Empfänger in Reichweite "gehört" werden kann (Abecasis et al. 2019). Die Reichweite beträgt in der westlichen Ostsee mehrere Hundert Meter. 

Das ausgewählte Gebiet für das Telemetriefeld liegt an der Steilküste bei Boltenhagen, zwischen Travemünde und Wismar. In der Nähe gibt es keine größeren Städte und der größte Teil des Strandes ist noch naturbelassen, allerdings wird bis an die Grenze der Steilküste konventionelle Landwirtschaft betrieben. Das Gebiet zeichnet sich unter Wasser durch einen Mix von Lebensräumen aus, der Steinfelder, Sandflächen sowie Seegras- und Algenflächen umfasst. Im Sommer 2021 haben wir in einem Gebiet, das früher als gutes Dorschfanggebiet sowohl für Angler als auch für kommerzielle Kiemennetzfischer bekannt war, 30 Empfänger in einem Hanggebiet von etwa 2 x 2,5 km installiert.  Die Empfänger sind jeweils etwa 500 m voneinander entfernt und decken Wassertiefen von etwa 7 m bis hinunter zu 24 m ab.

Das Telemetriefeld ist mit gelben Seetonnen gekennzeichnet, Schiffe sollten einen Abstand von 50 m zu den Seetonnen einhalten, ansonsten gibt es keine Einschränkungen für die Schifffahrt; Fischen und Angeln ist nicht verboten. Wir möchten jedoch an alle Fischer und Angler in diesem Gebiet appellieren, den Fischfang in diesem Gebiet zu vermeiden, um sicherzustellen, dass Fische in ihrem natürlichen Verhalten beobachtet werden können. 

Daten und Methoden

Bei den Empfängern handelt es sich um kleine, datenerfassende Computer, die in der Nähe des Meeresgrundes verankert sind und nach markierten Fischen "lauschen". Wenn ein Signal erkannt wird, wird der eindeutige ID-Code des Senders mit Datum und Uhrzeit gespeichert. Die Daten eines einzelnen Empfängers geben Aufschluss über jeden Besuch eines markierten Fisches an diesem Ort. Diese Daten können ausgelesen werden, wenn ein Empfänger an die Wasseroberfläche geholt wird. In unserem Dorschtelemetriefeld kontrollieren 30 Empfänger die Bewegungen der Fische auf einer Fläche von rund 10 Quadratkilometern.

Größere Dorsche und Plattfischen statten wir zusätzlich mit einem Datenspeicher aus (auf Englisch: data storage tag, abgekürzt DST). Der DST zeichnet Zeit-, Temperatur- und Druckdaten auf. Werden diese Fische wieder gefangen oder wird der DST am Strand gefunden, werden die Daten genutzt, um die Bewegungen des Fisches vom Tag des Aussetzens bis zum Tag des Wiederfangs zu rekonstruieren. Alle Fische, die mit einem akustischen Sender und/oder einem DST markiert sind, werden äußerlich zusätzlich mit zwei farbigen Spaghetti-Tags gekennzeichnet. Für jeden Fisch wird eine Belohnung von 100 Euro gezahlt, wenn er uns vollständig zurückgegeben wird.

An den Empfängern sind ozeanografische Messgeräte zur Erfassung von Temperatur, Salzgehalt, Sauerstoff und Strömungsrichtung so angebracht, dass im gesamten Gebiet rund um die Uhr Änderungen in Bodennähe überwacht werden. Die ozeanographischen Parameter und Geräte setzen wir zusammen mit dem Leibniz-Instituts für Ostseeforschung in Warnemünde (IOW) ein. So können wir die Schwankungen im Wasserkörper des Telemetriefeldes und Änderungen in den Bewegungsmustern der markierten Fische im Detail nachvollziehen.

Unsere Forschungsfragen

Ziel dieser Studie ist es, mit Hilfe der akustischen Telemetrie und mit Datenloggern zu erforschen, wie einzelne Dorsche und Plattfische in der westlichen Ostsee einen Hangbereich mit einem typischen Lebensraummix aus Steinfeldern, Sandflächen und Seegras- und Algenbetten nutzen. Die Forschungsfragen sind im Einzelnen:

1) In welchem Umfang zeigen Dorsche und Plattfische Standorttreue in einem natürlichen Hanggebiet in der westlichen Ostsee?

2) Wie bewegen und verhalten sich Dorsche und Plattfische in diesem Hanggebiet über die Zeit (Tag, Sonnenuntergang, Nacht, Sonnenaufgang; Jahreszeit) und in Wechselwirkung mit den schwankenden Umweltbedingungen?

Vorläufige Ergebnisse

Versuche, Dorsche zu markieren, waren aufgrund der geringen Anzahl größerer Fische in den Jahren 2021/2022 wenig erfolgreich. Die Markierung weiterer Fische wird 2023 fortgeführt.

Während die Markierungskampagne nur langsam anlief, zeigten die ozeanographischen Daten alarmierende Ergebnisse, die das Fehlen von Dorschen in diesem Gebiet teilweise erklären könnten (Video: www.ndr.de/fernsehen/sendungen/45_min/Schoene-tote-Ostsee-Das-Dorschsterben-und-die-Folgen,sendung1249608.html; Pressetexte: https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Forschungsprojekt-ohne-Probanden-Dorsch-vergeblich-gesucht-,fangquote160.html; https://www.riffreporter.de/de/umwelt/phosphor-ostsee-duenger-eutrophierung-todeszone-dorsch; https://www.nationalgeographic.de/sterben-in-der-ostsee-ist-der-dorsch-zu-retten-uberfischung). Im August 2021 war das Oberflächenwasser in dem Gebiet zu warm für Dorsche, während das Wasser unterhalb der Sprungschicht einen zu niedrigen Sauerstoffgehalt aufwies, als dass Dorsche dort dauerhaft überleben könnten. Unklar ist, ob Dorsche, die bisher in diesem, bei Fischer und Angler als attraktiver Fischgrund wahrgenommenen Gebiet lebten, in andere Gebiete ausgewandert oder verendet sind. Regelmäßige Messungen des Salzgehalts, der Temperatur und des Sauerstoffs in der gesamten Wassersäule (CTD-Messungen) entlang eines festen Transsekts vom sehr flachen Bereich bis zum tieferen Becken der Mecklenburger Bucht, ergaben, dass das Wasser unterhalb der Sprungschicht über mehrere Monate hinweg hypoxisch war (d.h. Sauerstoffgehalte von weniger als 2 mg/l) hatte, was darauf hindeutet, dass große Bereiche der Mecklenburger Bucht im Sommer für Dorsche und andere Fischarten und wirbellose Meerestiere als Lebensraum unbrauchbar sein könnten, was sich negativ auf ihre Populationsdynamik auswirken würde. Regelmäßige Ausfahrten mit dem FFS „CLUPEA“ und der BELONE in 2022 zeigten, dass auch in diesem Jahr Sauerstoffmangel im Tiefen und warmes Wasser im Flachwasserbereich vom Sommer bis in den Herbst beobachtet werden konnten. Messungen außerhalb des Telemetriefeldes zeigten, dass es sich hierbei um ein großflächigeres Problem handelt.

Links und Downloads

Literatur:

Abecasis, D. et al. (2018) ‘A review of acoustic telemetry in Europe and the need for a regional aquatic telemetry network’, Animal Biotelemetry, 6(1), pp. 1–7. Available at: doi.org/10.1186/s40317-018-0156-0.

Burrows, M.T. et al. (1994) ‘Temporal patterns of movement in juvenile flatfishes and their predators: underwater television observations’, Journal of Experimental Marine Biology and Ecology, 177(2), pp. 251–268. Available at: doi.org/10.1016/0022-0981(94)90240-2.

Dolk, B. (2015) ‘Riffe in der Ostsee - Untersuchungen zum Wanderverhalten der Dorsche - Endbericht’.

Freitas, C. et al. (2015) ‘Behavioral responses of Atlantic cod to sea temperature changes’, Ecology and Evolution, 5(10), pp. 2070–2083. Available at: doi.org/10.1002/ece3.1496.

Freitas, C. et al. (2016) ‘Temperature-associated habitat selection in a cold-water marine fish’, Journal of Animal Ecology, 85(3), pp. 628–637. Available at: doi.org/10.1111/1365-2656.12458.

Funk, S. et al. (2020) ‘Gillnet fishers’ knowledge reveals seasonality in depth and habitat use of cod (Gadus morhua) in the Western Baltic Sea’, ICES Journal of Marine Science, 77(5), pp. 1816–1829. Available at: doi.org/10.1093/icesjms/fsaa071.

Hussey, N.E. et al. (2015) ‘Aquatic animal telemetry: A panoramic window into the underwater world’, Science, 348(6240), p. 1255642. Available at: doi.org/10.1126/science.1255642.

Hüssy, K. et al. (2020) Tagging Baltic Cod – TABACOD. Eastern Baltic cod: Solving the ageing and stock assessment problems with combined state-of-the-art tagging methods.

Krumme, U. et al. (2020) ‘Age validation of age 0-3 wild cod Gadus morhua in the western Baltic Sea through mark-recapture and tetracycline marking of otoliths’, Marine Ecology Progress Series, 645, pp. 141–158. Available at: doi.org/10.3354/meps13380.

McQueen, K. et al. (2019) ‘Growth of cod (Gadus morhua) in the western baltic sea: Estimating improved growth parameters from tag–recapture data’, Canadian Journal of Fisheries and Aquatic Sciences, 76(8), pp. 1326–1337. Available at: doi.org/10.1139/cjfas-2018-0081.

Receveur, A. et al. (2022) ‘Western Baltic cod in distress: decline in energy reserves since 1977’, ICES Journal of Marine Science, 79(4), pp. 1187–1201. Available at: doi.org/10.1093/icesjms/fsac042.

 

Poster: Zustand des Westdorsches

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