FAQ
Wald und Hochwasser
Kai Schwärzel, Tanja Sanders, Janis Kreiselmeier, Marco Natkhin | 17.09.2024
Hochwasser sind ein regelmäßiger Bestandteil von Flusslandschaften. Ihr Auftreten ist von verschiedenen Faktoren abhängig: Niederschlag, Relief und Untergrund, Bewuchs und Bodenbewirtschaftung. Ob ein Hochwasser entsteht, wird dann jedoch maßgeblich davon bestimmt, wie stark der Waldboden mit Wasser gesättigt ist.
Bei einem Hochwasser treten Gewässer wie Flüsse oder Seen vorrübergehend über die Ufer. Sie überschwemmen Land, das normalerweise nicht mit Wasser bedeckt ist. Hochwasser wird verursacht von langanhaltendem Regen, kurzen Regenereignissen mit sehr großen Niederschlagsmengen oder auch der Schneeschmelze. Wir sprechen von Hochwasser, wenn ein Fluss mehr als zwei- bis dreimal so viel Wasser führt wie im Jahresdurchschnitt.
Informationen zu Hochwasser stellt die Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) auch aktuell zur Verfügung:
https://geoportal.bafg.de/karten/HWRM_Aktuell/
Zunächst bildet sich der sogenannte Abfluss, also das Wasser, das der Boden nach heftigen Niederschlägen nicht mehr aufnehmen kann. Abhängig von der Hangneigung und der Oberflächenbeschaffenheit fließt es langsamer oder schneller ab.
Dieses abfließende Wasser sammelt sich in Bächen und Flüssen. Je nachdem, wie schnell die Abflüsse dort ankommen, entsteht eine stark konzentrierte oder abgeflachte Hochwasserwelle. Die Höhe dieser Welle hängt von der Fließgeschwindigkeit des Wassers ab. Begünstigt werden solche Fluten von geradlinigen und beengten Flussläufen. Geschwungene Flussläufe mit flachen Ufern sowie rauer Untergrund verlangsamen die Fließgeschwindigkeit. Die Hochwasserwelle flacht ab. Sehr starke Niederschläge können Sturzfluten auslösen. Sie treten meist kurz und eher lokal auf. Besonders die sogenannten Fünf-B-Wetterlagen (Vb-Wetterlagen), Tiefdruckgebiete die vom Golf von Genua, aus Oberitalien und von der nördlichen Adria über den Alpenraum nach Mitteleuropa ziehen, können sehr starke Niederschläge über großen Gebieten verursachen. Diese führen dann auch bei großen Flüssen über mehrere Tage zu Hochwasser, wie z.B. in der Oder 1997 und der Elbe 2002, 2013 und 2024.
Waldflächen können den Verlauf eines Hochwassers bis zu einem gewissen Grad mindern:
- Verlangsamter Oberflächenabfluss: Die dichte Waldvegetation und das unterirdische Netzwerk der Wurzelgänge sorgen dafür, dass Wasser schneller im Boden versickert. Das verringert die Fließgeschwindigkeit des Wassers an der Oberfläche. Besonders stark ist dieser Effekt bei tiefwurzelnden Baumarten wie Kiefer oder Eiche.
- Abfangen des Niederschlags: Wälder in gemäßigt feuchten Breitengraden wie in Europa und Nordamerika halten im langjährigen Mittel zwischen 15 und 50 Prozent des durchschnittlichen Niederschlags in den Baumkronen, dem Unterwuchs und der Streuauflagen zurück. Das Regenwasser haftet an den Blättern und Nadeln. Anschließend verdunstet es, ohne auf die Bodenoberfläche zu gelangen. In Nadelwäldern wird dabei mehr Wasser zurückgehalten als in winterkahlen Laubwäldern. Bei stärkeren, hochwasserauslösenden Niederschlagsereignissen nimmt die relative Wirkung dieses Effekts jedoch stark ab.
Je tiefgründiger das sogenannte Lockermaterial über dem Festgestein, desto mehr Wasser kann ein Boden speichern. Hochwasser entstehen meist im bergigen Gelände. Oft herrschen dort flachgründige, steinreiche Böden vor. Diese Faktoren lassen sich nicht durch Bewirtschaftung ändern. Deshalb haben Waldböden sehr unterschiedliche Kapazitäten, Wasser zu speichern. Diese Speichermöglichkeiten beeinflussen jedoch den Verlauf von Hochwasser. Je mehr Wasser ein Boden speichern kann, desto geringer ist der Oberflächenablauf. Neben dieser grundsätzlichen Fähigkeit, Wasser zu speichern, kommt es aber auch auf vorhergehende Niederschläge an.
Mächtigkeit und Beschaffenheit des Bodens sind wesentlich dafür, wie viel Wasser ein Boden speichern kann. Das gespeicherte Wasser befindet sich in den Hohl- und Zwischenräumen. Wenn diese gefüllt sind, führen weitere Niederschläge zu einer Überlastung der Bodenwasserspeicher. Der Boden ist dann mit Wasser gesättigt. Dadurch verstärkt sich der Oberflächenabfluss, das Risiko für Hochwasser steigt. Hydrologische Modelle haben gezeigt, dass ein stark bewaldetes Einzugsgebiet eine erste Abflussspitze um bis zu
70 Prozent reduzieren kann. Bei einem direkt darauffolgenden Niederschlagsereignis war dieser Effekt jedoch kaum mehr feststellbar.
Der Erhalt einer deckenden Baum- und Strauchschicht in Entstehungsgebieten von Hochwasser verbessert den Wasserrückhalt und den Erosionsschutz. Die schützende Deckschicht verzögert den Abfluss und mindert das Risiko von Erdrutschen und Muren. Mit digitalen Informationen zu lokalen Bodeneigenschaften und Landschaftsformen werden kritische Knotenpunkte für die Hochwasserentstehung identifiziert. Dazu zählen zum Beispiel Kahlschläge nach Borkenkäferbefall oder Sturmereignissen.
Diese waldbaulichen Maßnahmen sind erfolgversprechend:
- Aufforstung mit standortgerechten Baumarten: Vor allem strukturreiche Mischbestände, in denen Ast- und Reisigmaterial liegen bleibt, vermindern und verzögern den Oberflächenabfluss.
- Renaturierung: Die Renaturierung von Hangmooren, Feuchtbiotopen, Bächen und Bach-Auen unterstützt den Wasserrückhalt in Entstehungsgebieten von Hochwasser.
- Schutzwaldpflege: Der Erhalt intakter Wälder geschieht durch präventiven Holzeinschlag zur Verjüngung und Stabilisierung der Bestände und zur Pflege des Jungwaldes. Erosionsschutz und die Reduktion von Schwemmholz in Gewässernähe tragen weiterhin zu einer Verringerung von Treibholz und Sediment bei.
- Aufforstung landwirtschaftlicher Böden: Die Aufforstung landwirtschaftlicher Böden erhöht die Kapazität des Bodens, Wasser zu speichern. Damit werden Abflussspitzen verzögert und gedämpft. Zusätzlich können Aufforstungen auf Grünland- und Ackerstandorten entlang von Hängen den Oberflächenabfluss abbremsen und den Abtrag des Bodens durch abfließendes Wasser mindern. Hierzu eigenen sich besonders hangparallele Streifen mit schnellwachsenden Arten.
- Anpassung der Waldinfrastruktur: Abflussspitzen in bewaldeten Einzugsgebieten sind eng verbunden mit der Infrastruktur, die für die Waldbewirtschaftung benötigt wird: das Waldwegenetz, Seitengräben, Rückegassen und Entwässerungssysteme. Diese Anlagen sind optimale Fließwege, die die Abflussbildung beschleunigen können. Um das Hochwasser zu bremsen, müssten Wege und Gräben unter Baumkronen verlaufen. Wegprofile sollten so angepasst werden, dass sie eine breitflächige Entwässerung in den angrenzenden Wald hinein ermöglichen. Wege sollten nicht in Abflussrichtung angelegt werden.
- Verbesserung der Bodenstruktur: Wie viel Wasser in den Boden infiltriert wird, hängt maßgeblich vom Management der Böden ab. Ist der Boden stark verdichtet, kann das Wasser nur schwer versickern. Die Folge ist, dass sich Wasser auf der Bodenoberfläche sammelt und – falls die Fläche geneigt ist – hangabwärts fließt. Deshalb sollte vor allem in Entstehungsgebieten von Hochwasser die Befahrung des Waldes mit schweren Maschinen vermieden werden. Stattdessen sollten alternative Holzernte- und Rücketechniken eingesetzt werden. Die Kalkung versauerter Waldstandorte oder die Umwandlung von Nadel- in Mischbestände fördern zusätzlich die bodenbiologische Aktivität und somit eine verbesserte Bodenstruktur.