Weiter zum Inhalt
Interview

„Hohe Wildschweindichte begünstigt die Virus-Ausbreitung“

Ein Gespräch mit Frank Tottewitz | 12.09.2023


WO Institut für Waldökosysteme

Die Afrikanische Schweinepest (ASP) hat sich relativ schnell von Osteuropa her in Richtung Westen ausgebreitet. Im September 2020 erreichte die Seuche auch Deutschland. Welche Auswirkungen ein gezieltes Jagdmanagement auf die Ausbreitung der Seuche in Deutschland hat und welche Hürden es gibt, erklärt Frank Tottewitz vom Thünen-Institut für Waldökosysteme.

Welche Bedeutung haben Wildschweine für die Ausbreitung der ASP?

Wildschweine sind, ebenso wie Hausschweine, für den ASP-Erreger empfänglich. Für Menschen ist ASP übrigens ungefährlich. Bei einem ASP-Ausbruch begünstigt eine hohe Wildschweindichte die Ausbreitung des Virus. Daher kann eine deutliche Reduktion der Population das Ausbreitungsrisiko der ASP verringern. Wir stellen in den letzten Jahren unverändert hohe Abschusszahlen bei fast allen Schalenwildarten fest, auch bei Wildschweinen. Hier liegt die Jagdstrecke mit Schwankungen um die 700.000 Stück. Das lässt regional immer noch auf sehr hohe Wildschweinbestände schließen, obwohl insbesondere in den ASP-Gebieten intensiv in den Schwarzwildbestand eingegriffen wurde und wird.

Was sind die Ursachen für die hohen Schalenwildbestände?

Dieser Trend begann in den 1980er Jahren und ist bei weitem kein deutsches Phänomen. Aus unserer Sicht liegen die Ursachen bei den deutlich verbesserten Äsungs- und Deckungsverhältnissen. Stickstoffeinträge und damit verbesserte Wachstumsbedingungen und Nährstoffinhalte der Vegetation, geringere Winterverluste durch klimatische Veränderungen und häufigere Baummasten sind dafür entscheidende Einflussgrößen. Auch die sich verändernden Anbaustrukturen in der Landwirtschaft spielen eine Rolle. Ein wichtiger Grund war auch die Züchtung bitterstofffreier Rapssorten Mitte der 1980er Jahre. Seitdem stand neben Getreide eine Nahrungsquelle zur Verfügung, die für das Wild seinesgleichen sucht. Langjähriger Weizen-, Mais- und Rapsanbau, auf oft riesigen Flächen, sind für Wildschweine ein Paradies. Das hier verfügbare Futterangebot sorgt dafür, dass nahezu jeder weibliche Frischling noch im selben Jahr trächtig wird. Inzwischen gehen wir von jährlichen Reproduktionsraten bis zu 300 Prozent aus.

Warum werden nicht mehr Tiere erlegt?

Die ständig hohen Abschüsse belegen die großen Abschussbemühungen der Jäger, dennoch ist nicht festzustellen, dass die Schwarzwildbestände gravierend zurückgehen. Oftmals ist die Bejagbarkeit ein Problem, zum Beispiel bei großen Feldern ohne Bejagungsschneisen. Sie bieten den Wildschweinen nicht nur Futter im Überfluss, sondern auch Deckung und damit monatelangen Schutz vor dem Jäger. Viele Bundesländer haben auf diese fatale Situation reagiert und die Rahmenbedingungen für die Jagd verbessert. Insbesondere hat auch die Wärmebild- und Nachtsichttechnik im Jagdbetrieb Einzug gehalten. Inwiefern diese Voraussetzungen als Durchbruch zu einer großflächigen Reduktion beitragen können, wird sich zeigen. Manchmal fehlt aber leider auch der Wille zur Reduktion.

Waren wir beim Ausbruch der ASP in Deutschland auf die Situation vorbereitet?

Deutschland konnte vor allem auf die erfolgreichen Bekämpfungsstrategien der ASP in Tschechien und Belgien zurückgreifen. Das jeweilige Krisenmanagement hatte viele Erkenntnisse geliefert und diente als Referenz. So wurden unverzüglich konsequent alle Maßnahmen ergriffen, die es im Seuchenfall umzusetzen galt: Abgrenzung und Einzäunung der Hochrisikozone, Festlegen einer Pufferzone, Betretungsverbote, Prämienzahlungen für tot aufgefundene Wildschweine, Abschüsse, Kadaverentsorgung usw. Auch die Erfahrungen mit den in Belgien eingesetzten Schwarzwildfängen und deren positiven Effekte bei der Seuchentilgung wurden berücksichtigt. Schon im Jahr 2018 wurde von uns ein Methodenüberblick zum Fang von Wildschweinen zusammengestellt. Grundlage hierfür waren jahrzehntelange Erfahrungen von Eberswalder Wissenschaftlern und Erkenntnisse aus betroffenen Nachbarländern. Dieser Katalog dient inzwischen in zahlreichen Bundesländern als inhaltlicher und rechtlicher Handlungsrahmen.

Wie ist die gegenwärtige Situation im Bezug zur ASP einzuschätzen?

Im September 2020 wurde der erste ASP-Fall in Deutschland, in unmittelbarer Nähe zur polnischen Grenze, registriert. Danach stiegen die Fallwildzahlen rasant. Bis heute sind insgesamt über 5.500 Wildschweine an ASP verendet. Parallel dazu erfolgten die Bekämpfungsmaßnahmen. Vordergründig ist in diesem Zusammenhang der doppelte Zaunbau entlang der Oder-Neiße zu nennen, um eine „weiße Zone“, also eine wildschweinfreie Zone, zu erreichen. Zusammen mit weiteren Parzellierungen wurden insgesamt über 3.000 km ASP-Zäune im gesamten Gebiet der deutsch-polnischen Grenze errichtet. Diese Zäune und konsequente Maßnahmen zur Schwarzwildreduzierung, insbesondere mit Schwarzwildfängen, konnte offensichtlich den Durchzug der ASP stoppen. Gegenwärtig gibt es noch lokale Ausbrüche. Auf großer Fläche aber wird auf eine offizielle Erklärung der EU zur bestätigten ASP-Freiheit gewartet. Diese erhält man, nachdem ein Jahr lang kein auf das ASP-Virus positiv getestetes Stück festgestellt wurde. Das ist besonders deshalb von Bedeutung, weil man dann den Rückbau von ASP-Zäunen ins Auge fassen kann. Sie zerschneiden für zahlreiche Tierarten den Lebensraum und konterkarieren Maßnahmen der Biotopvernetzung.

Gibt es Schlussfolgerungen aus der ASP-Bekämpfung für die Zukunft?

Unverändert ist es dringende Aufgabe, die Schwarzwildbestände zu reduzieren. Deshalb war es längst überfällig, auf der gesamten Fläche bundeslandübergreifende Maßnahmen zu ergreifen, um die Bejagung zu intensivieren. Das bedeutet zum Beispiel ganzjährige Jagdzeiten unter Beachtung des Muttertierschutzes, die Nutzung technischer Möglichkeiten wie Schalldämpfer, künstlicher Lichtquellen, Wärmebildkameras sowie Nachtsicht- und Nachtzielgeräte oder die Aufhebung von Bejagungsverboten in Schutzgebieten. Auch sachgerecht betriebene Schwarzwildfänge sind eine effektive Methode störungsarmer Bejagung und bei der Seuchentilgung. Bei allen jagdlichen Maßnahmen muss natürlich der Tierschutz Priorität haben.

Herr Tottewitz, vielen Dank für das Gespräch.

Nach oben