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Expertise

Landwirtschaft weltweit verstehen

Yelto Zimmer (agri benchmark), Thomas de Witte, Jannik Dresemann | 15.05.2023


BW Institut für Betriebswirtschaft

Aufgrund global verbundener Agrarmärkte ist es wichtig zu verstehen, wie Ackerbau an anderen Standorten der Welt praktiziert wird und wie wettbewerbsfähig der hiesige Anbau von Agrarrohstoffen im internationalen Vergleich ist. Im agri benchmark Netzwerk werden die hierfür erforderlichen Daten erhoben.

In Zeiten der zunehmenden Bedeutung von Treibhausgas-Emissionen und der Förderung von Biodiversität und Artenschutz sind nicht mehr nur rein betriebswirtschaftliche Kennzahlen relevant. Entscheidende neue Indikatoren werden zum Beispiel die Treibhausgas-Emissionen oder der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

Das vom Thünen-Institut und der gemeinnützigen Firma global networks koordinierte globale Netzwerk von Produktionsökonomen agri benchmark stellt die für solche Analysen benötigen Daten und Informationen zur Verfügung. In dem Netzwerk arbeiten Experten aus über 45 Ländern zusammen. Die Mitglieder des Netzwerks leiten Daten über sogenannte typische Betriebe an die Koordinationsstelle im Thünen-Institut; jedes Mitglied erhält im Gegenzug Zugang zu den Ergebnissen aller anderen Partner. Darüber hinaus treffen sich die Wissenschaftler und Berater einmal jährlich, um die jüngsten Daten und Entwicklungen zu diskutieren und über die nächsten Schritte von agri benchmark zu entscheiden.

Die typischen Betriebe repräsentieren den wesentlichen Teil der Produktionsbedingungen in einer definierten Region eines Landes. Die gesammelten Daten umfassen ein komplettes Mengen- und Preisgerüst für alle eingesetzten Faktoren – inklusive einer monetären Bewertung der Arbeitszeit von Familienarbeitskräften. Die Daten werden vor Ort im Rahmen von sogenannten Fokusgruppen-Diskussionen von den wissenschaftlichen Partnern gemeinsam mit Beratern und Landwirte erhoben. Der gesamte Datensatz wird unter anderem auch aufbereitet, um mit sogenannten Crop Profilen wesentliche Charakteristika der Produktion einer Kultur im internationalen Vergleich zu skizzieren (Download-Möglichkeit unten).

Weiterhin werden auf Basis der Daten die Produktionskosten für die einzelnen Kulturen an den verschiedenen Standorten kalkuliert, um hieraus Rückschlüsse auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Produktion von speziellen Agrarrohstoffen und Ackerbaustandorten ziehen zu können. Die Analyse der Produktionskosten zeigt, dass die deutschen Ackerbaubetriebe für die meisten Kulturen international durchaus wettbewerbsfähig sind.

Der direkte Link in die Praxis wird ferner dazu genutzt, politische Initiativen oder technische Innovationen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit zu bewerten. So wurde unter anderem gemeinsam mit Landwirten und Beratern analysiert, ob und unter welchen Bedingungen extensive Ackerbausysteme, wie sie in Australien oder der kanadischen Prärie praktiziert werden, auf ertragsschwache ostdeutsche Standorte zu übertragen sind (Thünen Report 6).

In einem anderen Projekt wurde mithilfe der lokalen Expertise analysiert, in welchem Umfang und zu welchen Kosten sich die Treibhausgas-(THG)-Emissionen im Ackerbau reduzieren lassen. So wurde unter anderem geprüft, welche Effekte sich mit Zwischenfruchtanbau, mit einer reduzierten Bodenbearbeitung oder der Verwendung von langsam wirksamen Stickstoffdüngern erzielen lassen. Um die Komplexität der Analyse zu begrenzen, wurden exemplarisch die jeweils bedeutsamsten Ackerkulturen (Mais, Weizen) untersucht. Es wurden nur Maßnahmen berücksichtigt, die nicht zu Produktionsrückgängen führen, da sonst davon auszugehen wäre, dass durch den Rückgang der Produktion auf einem Standort die Produktion in anderen Teilen der Welt ausgeweitet wird. Dies ist häufig mit der Umwandlung von Grünland oder Wald in Ackerland verbunden, was zusätzliche THG-Emissionen verursacht. In der Grafik sind ausgewählte Ergebnisse dieser Untersuchung dargestellt.

Diese Vermeidungskosten werden zunächst für einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren (kurzfristig) ausgewiesen. Wenn die Vermeidung von THG-Emissionen aus einer Speicherung von Kohlenstoff im Boden resultieren, werden die Kosten auch für einen Zeitraum für mehr als 20 Jahren (langfristig) ausgewiesen. Grund für diese zusätzliche Berechnung: Die Akkumulation von Bodenkohlenstoff ist ein endlicher Prozess; nach ca. 20 Jahren einer bestimmten Bewirtschaftungsumstellung (z.B. Anbau von Zwischenfrüchten) wird ein neues Gleichgewicht im Boden erreicht und der Humusgehalt im Boden steigt nicht weiter an. Das bedeutet, ein Teil der Treibhausgas-Einsparungen fällt weg, aber die Kosten der Maßnahmen müssen weiterhin von den Landwirten bzw. der Gesellschaft getragen werden. Folglich steigen die Kosten der Vermeidung im Vergleich zu einer (relativ) kurzfristigen Betrachtung an.

Die Fallstudien lassen folgende vorläufige Schlüsse zu:

  1. Gemessen an dem Maßstab CO2-Preis der aktuellen Börsen (ca. 100 USD/t CO2) sind nur die Einsparungsmaßnahmen in Iowa (USA) und Paraná (Brasilien) voll wettbewerbsfähig.
  2. Die für Deutschland untersuchten Maßnahmen erweisen sich als sehr teuer, im Fall der langfristigen Betrachtung sogar fast doppelt so teuer wie der unterstellte CO2-Preis an den Börsen. Die wesentliche Ursache dafür: Aufgrund der im internationalen Vergleich strengen Regulierung des Stickstoff-Einsatzes in Deutschland sind Optimierungen in der Stickstoffdüngung nur mit hohem Aufwand bei gleichzeitig geringen Einsparungen zu erreichen. Auf Basis der durchgeführten Fallstudie wäre es volkswirtschaftlich fragwürdig, wenn die die Politik Förderprogramme zur CO2-Einsparung im Weizenanbau auflegen würde, um THG-Emissionen zu vermeiden, da in anderen Sektoren mit dem gleichen Budget eine höhere CO2-Einsparung erzielt werden könnte. Allerdings ist unklar, wie repräsentativ die durchgeführten Fallstudien sind und ob CO2-Einparungen in anderen Kulturen bzw. anderen Betriebstypen ggf. kostengünstiger zu erreichen sind. Hier sind weitere Untersuchungen notwendig.
  3. Die teilweise erheblich geringeren Kosten für CO2-Einsparungen im Ackerbau in anderen Teilen der Welt verdeutlichen, dass bei einer globalen Herausforderung wie dem Klimawandel eine rein nationale Sichtweise zu kurz greift. Wenn im Klimaschutz Fortschritte erreicht werden sollen, sind internationale Abkommen notwendig, mit denen sichergestellt wird, dass kostengünstige CO2-Einsparpotenziale in anderen Ländern realisiert werden.
  4. Die Unterschiede zwischen der kurzfristigen und langfristigen Betrachtung der Optionen sind massiv. Bei weiteren Arbeiten zu Politikberatung sollte daher darauf gedrungen werden, dass beide Werte gesondert ausgewiesen werden.
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