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Expertise

Schlittenfahrt am Meeresgrund

Pedro Nogueira | 26.07.2023


FI Institut für Fischereiökologie
SF Institut für Seefischerei OF Institut für Ostseefischerei

Die Abfallmengen in den Ozeanen – vor allem Plastik – sind in den letzten Jahrzehnten ständig gestiegen. Die Datenlage zur räumlichen Verteilung von Meeresmüll am Meeresboden ist allerdings unbefriedigend. Mit einem neuen, am Thünen-Institut entwickelten Video-Schlitten soll es möglich werden, zu valideren Einschätzungen zu kommen.

Als Ergebnis der modernen Wegwerfgesellschaft sind die Abfallmengen, die sich in den Ozeanen ansammeln – vor allem Plastik – in den letzten Jahrzehnten ständig gestiegen und werden nach Modellvorhersagen weiter steigen. Obwohl Abfälle im Meer eine globale Herausforderung darstellen, ist nicht bekannt, wo 99 % der Abfälle im Meer verbleiben. Weltweit gibt es nur wenig Daten über die räumliche Verteilung von Meeresmüll am Meeresboden. Die meisten hierzu sind Nebenprodukte anderer Überwachungsprogramme, wie etwa aus Fischereidatenerhebungen mit herkömmlichen Fanggeräten. Hier wird der mit dem Netz gefangene Meeresmüll gezählt und entsprechend seiner Zusammensetzung in vom ICES definierte Kategorien eingeordnet.

Die Verwendung von Schleppnetzen für das Meeresmüll-Monitoring hat den Vorteil, dass es kostengünstig und gut etabliert ist. Nachteilig ist jedoch, dass die Schleppnetze nicht für Meeresmüll konzipiert wurden und in der Fischerei unterschiedlichste Netze verwendet werden. Das erschwert einen direkten Vergleich der Ergebnisse. Zudem ist der Einsatz von Grundschleppnetzen invasiv und schädigt den Meeresboden. Auf der Suche nach einer weniger invasiven Methode wurde ein Video-Schlitten entwickelt und während einer Fahrt mit dem Forschungsschiff Walther Herwig III im Dezember 2022 erfolgreich eingesetzt.


Standardisierte Video-Analysen

Das neue Gerät entstammt einer Zusammenarbeit zwischen den Thünen-Instituten für Ostseefischerei, Seefischerei und Fischereiökologie. Es ist 160 cm lang, 76 cm breit und 67 cm hoch. Das System besteht aus einer kompakten Videokamera an der Vorderseite des Schlittens, zwei Scheinwerfern für das nötige Licht und drei im Dreieck arrangierte Laserpointer für den Größenbezug. Ein Drucksensor sammelt Informationen zur Tiefe. Das Ergebnis ist ein intuitives und einfach zu bedienendes Gerät, welches universell eingesetzt werden kann. Außerdem ist es dank niedriger Kosten möglich, diese Methode auch in Ländern mit begrenzten Ressourcen einzusetzen.

Die Methode sieht vor, den Video-Schlitten für eine Stunde auf dem Meeresboden hinter dem Forschungsschiff mit niedriger Geschwindigkeit zu schleppen. Entstandene Videos werden anschließend von zwei Beobachtern quantifiziert und klassifiziert. Auf diese Weise wurde die Menge des Meeresmülls in den Testgebieten eingeschätzt: Ersten Ergebnisse zeigen, dass in Nord- und Ostsee grob zwischen 210 und 830 Müllstücke pro km2 am Meeresgrund zu finden sind. Der Vergleich dieser visuellen Methode mit den Ergebnissen von Grundschleppnetzen in denselben Referenzgebieten, ergab, dass die neuen Werte zwischen 2 und 169x höher sind. Diese Diskrepanz lässt sich durch die geringe Fang-Effizienz der fischereilichen Fanggeräte für Meeresmüll erklären. Ähnliche Ergebnisse mit visuellen Methoden an der norwegischen Küste, im Mittelmeer und an der portugiesischen Atlantikküste stützen dies.

Weitere Einsatzmöglichkeiten möglich

Der Einsatz des Schlittens ist nicht auf die Datenerhebung zum Meeresmüll beschränkt. Das Thünen-Institut für Seefischerei hat vom Videoschlitten aufgenommenes Bildmaterial genutzt, um die Variabilität und Häufigkeit von Meerestieren im Umwelt-Schutzgebiet Doggerbank zu bestimmen. Die Ergebnisse sind vielversprechend und unterstreichen den Wert der interdisziplinären und interinstitutionellen Zusammenarbeit.

Veröffentlichung in "Science of The Total Environment" (2023): Visual quantification and identification of shallow seafloor marine litter in the
southernmost North and Baltic seas using an epibenthic video sledge (EVS) – A comparison to bottom trawl data.

DOI:10.1016/j.scitotenv.2023.164633

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