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Interview

„Brexit hin oder her – es gibt gute Gründe, Fangquoten neu aufzuteilen“

Anne Sell mit Ralf Döring (Wissenschaft erleben 2020/2)


SF Institut für Seefischerei

Zum 31.01.2020 hat das Vereinigte Königreich (UK) die EU verlassen und unterliegt damit bald nicht mehr den Regeln ihrer Gemeinsamen Fischereipolitik. Bislang galten Fangquoten in der Nordsee für das gesamte Seegebiet. Nun muss neu geregelt werden, wer in der britischen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) fischen darf, und umgekehrt, was UK in den europäischen Bereichen fängt.

Gerade unter den Fischern war der Anteil der Brexit-Befürworter besonders hoch. Warum lehnen sie die EU-Politik eigentlich so vehement ab?

Aus dem Gefühl, der Fischereisektor sei schon beim Eintritt des Vereinigten Königreichs in die EU über den Tisch gezogen worden. Damals war bereits beschlossen, dass es eine gemeinsame europäische Fischereipolitik geben würde, aber die Details waren offen. Aufnahmebedingung war, dass die Briten die später festgelegten Verordnungen akzeptieren würden. Tatsächlich sind etliche Vorgaben für die vorher weitgehend ungeregelte britische Fischerei damit erst eingeführt worden. Nun sehen viele Fischer die Schuld bei der EU – für alles: dafür, dass es weniger Fischer gibt, dass es weniger zu fangen gibt, dass es aus ihrer Sicht unsinnige Regeln gibt.

Können die Briten denn nach dem Brexit ihre Fangquoten in der Nordsee selbst festlegen?

Das Vereinigte Königreich kann zwar bei einem harten Brexit ausländische Fischer aus ihrer AWZ ausschließen. Nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen sind UK und EU aber verpflichtet, für gebietsübergreifende Fischbestände und Bestände weit wandernder Arten ein Nutzungsabkommen festzulegen, und damit auch eine Fangquotenverteilung. Wenn man sich da partout nicht einigen könnte, würde der Fall vor dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg verhandelt werden müssen.

Welche EU-Mitgliedstaaten fischen denn neben den Briten selbst in britischen Gewässern?

Nur ein Drittel des Fisches in den britischen Gewässern wird von den Briten selbst gefangen, zwei Drittel von anderen. Besonders wichtig sind diese Fänge für die Fischer aus den Niederlanden, Dänemark und Irland, die 35-40 % ihrer Anlandungen dort fangen. Aber auch Deutschland erzielt 30 % seiner Fänge in britischen Gewässern.

Wenn die Briten den Fisch in ihren Gewässern nun allein fangen wollen, müssen sie also ihren Fischereiaufwand vervielfachen – und am Ende allen gefangenen Fisch auch verkaufen.

Es gibt Aussagen, dass die britische Flotte noch Spielraum habe, mehr Hering und Makrele zu fangen. In der Verarbeitung sind allerdings massive Probleme zu erwarten. Dort würden die Kapazitäten im Moment nicht reichen, und es ist für die Briten jetzt schon schwierig, das nötige Personal zu bekommen. Weit über 50 % der Arbeitskräfte in der fischverarbeitenden Industrie stammen aus anderen EU-Staaten.

Warum steht die Fischerei so im Fokus, obgleich sie ökonomisch für das Vereinigte Königreich längst nicht mehr so bedeutend ist wie einst? Der Fischereisektor umfasst nur rund 0,1 % der Wirtschaftsleistung, Autoindustrie oder das Bankengewerbe haben höhere Anteile.

Ja, deutlich höhere. 30 % des britischen Bruttosozialprodukts wird im Stadtbereich von London erwirtschaftet – mit Finanzdienstleistungen. Aber die Fischerei hat einen hohen symbolischen Wert. Sie war einer der drei Hauptpunkte in der Brexit-Bewegung: We want our waters back! Die Regierung kann das also nicht so ohne weiteres ignorieren. Gleichzeitig besteht die EU auf einer Verknüpfung des Fischereiabkommens mit dem Freihandelsabkommen, während die britische Regierung anstrebt, beide Komponenten unabhängig zu verhandeln. Die Sorge ist berechtigt, dass die Fischer sonst leer ausgehen.

Wie sehen denn die Handelswege für Fisch zwischen UK und Europa aus?

Die Briten exportieren 70 % ihrer Fänge in die EU, mehr als sie umgekehrt von dort importieren. Vor allem exportieren sie Arten, die in England wenig nachgefragt werden, Hering und Makrele haben hohe Anteile. Aber es gibt auch Spezialitäten: Viele der kleinen Küstenfischer in Südengland verkaufen ihre Fänge hochpreisiger Arten direkt – zum Beispiel Jakobsmuscheln – nach Frankreich. Die Briten exportieren vorwiegend unverarbeiteten Fisch und importieren verarbeitete Fischprodukte aus der EU.

Die EU plädiert derzeit dafür, die aktuelle Quotenverteilung zwischen dem Vereinigten Königreich und den übrigen Mitgliedstaaten beizubehalten. Ist das der beste Weg?

Die EU sieht kurzfristig keine wirkliche Alternative, um nicht intern das Thema Quotenneuverteilung anfassen zu müssen. Es gäbe allerdings sehr gute Gründe, den schon aus den 1980er Jahren stammenden fixen Verteilungsschlüssel neu zu fassen, Brexit hin oder her. Die geltende Quotenaufteilung spiegelt die Realität der Fangmöglichkeiten und Flottenentwicklungen nicht wieder, denn inzwischen haben sich die Artenzusammensetzungen der Fische und ihre Verbreitungsgebiete stark verschoben, auch durch den Klimawandel. Außerdem funktionieren die geltenden Regelungen zur Rückwurfvermeidung nicht, die eigentlich die Verschwendung von ungewolltem Beifang verhindern sollen. Es ist aber völlig illusorisch zu erwarten, dass man so etwas in wenigen Monaten verhandeln kann. Es müsste also die Übergangsfrist verlängert werden, was die britische Seite kategorisch ablehnt.

Was sind die Knackpunkte bei diesen Verhandlungen?

Das sind zwei Punkte: Welchen Anteil der Gesamtmenge Fisch darf UK fangen? Und: Wer darf wo fischen? Jede Antwort auf diese beiden Fragen zieht einen ganzen Rattenschwanz an notwendigen juristischen Regelungen nach sich.

Wie könnte ein auszuhandelnder Kompromiss im Fischereiabkommen aussehen?

Im Moment ist es schwer, sich etwas vorzustellen. Ohne das gesamte Paket der Quotenverteilung aufzuschnüren, kann die EU den Briten kaum etwas anbieten. Die Zeit schwindet, verschärft noch durch die Corona-Krise. Damit spielen aber wohl andere Fragen als die Fischerei am Ende die Hauptrolle.

Herr Döring, vielen Dank für dieses Gespräch.

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