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Expertise

Naturschutz nach Konjunkturlage ist eine schlechte gesellschaftliche Investition

Bernhard Osterburg | 13.11.2023


KB Stabsstelle Klima und Boden

Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich am 9. November 2023 darauf geeinigt, bis 2030 mindestens 20 Prozent der geschädigten Land- und Meeresökosysteme wiederherzustellen, bis 2050 dann alle. Ein Statement des Thünen-Instituts zum Renaturierungsgesetz.

Das Renaturierungsgesetz legt für alle EU-Mitgliedsstaaten Ziele fest, die zur Gesundung wichtiger Lebensräume wie Agrarlandschaften, Wälder, Gewässer und Moore führen sollen. Mit dem Gesetz will die EU die in Montreal 2022 geschlossene globale Vereinbarung zum Schutz der Natur umsetzen (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework). Das Gesetz ist trotz aller Kompromisse ein Erfolg für den Naturschutz und zeigt zugleich, dass die bisherigen Bemühungen der Politik zum Schutz der Biodiversität nicht ausreichend waren.

Nun sollen in nur knapp sechs Jahren 20 Prozent der geschädigten Land- und Meeresökosysteme mit Hilfe flächen- und ergebnisbezogener Ziele wiederhergestellt und die Biodiversität erhalten und verbessert werden. Bis 2050 sollen alle Ökosysteme wiederhergestellt sein. Bisher ist jedoch noch offen, welchen rechtlichen Rahmen die EU für die Umsetzung festlegen wird und welche Ausgestaltungsspielräume die Mitgliedstaaten haben werden. Zudem hängt die Umsetzung des Gesetzes von Details ab, etwa, welche Gebiete für die Renaturierung ausgewählt, wie Biodiversität gemessen und wie beobachtete Trends bewertet werden. So ist beispielsweise im Bereich Meeresschutz völlig unklar, welche Habitate wiederhergestellt werden sollen. Würden alle Typen eingeschlossen, müssten bis 2050 alle Meeresgebiete unter Schutz gestellt und in einen naturnahen Zustand gebracht werden.

Aus Sicht der Wissenschaft reicht es für den Erhalt von Natur und Biodiversität jedoch nicht aus, wertvolle Gebiete unter Schutz zu stellen. Das zeigen Zahlen zum fortschreitenden Rückgang der natürlichen Artenvielfalt und zum schlechten ökologischen Zustand geschützter Gebiete in der EU. Deshalb müssen Schutzgebiete aufgewertet und verloren gegangene Lebensräume wieder hergestellt werden. Außerdem sollten wirtschaftlich und gesellschaftlich genutzte Lebensräume wie Agrarlandschaften, Wälder und Fischgründe in die Umsetzung einbezogen werden. Ihre natürlichen Funktionen zu erhalten, kommt auch Nutzerinnen und Nutzern zugute. Beispielsweise hängt die Produktivität in der Landwirtschaft von bestäubenden Insekten ab. Die wiederum brauchen Raum, der ihnen das Überleben in ausreichender Anzahl ermöglicht – und damit auch die Erfüllung ihrer Funktionen.

Ein weiterer Aspekt, der noch nicht geklärt ist, betrifft die Synergien mit dem Klimaschutz. Wälder und Moore speichern große Mengen Kohlenstoff. Werden Nutzungen ausgeschlossen, Waldanpassungen unter strenge Auflagen gestellt und Moorgebiete geschützt, aber nicht vernässt, wird für den Klimaschutz nicht das beste Ergebnis erreicht. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist beispielsweise nicht nachvollziehbar, warum nur ein kleiner Teil der wiederherzustellenden Moore vernässt werden soll. Naturschutzmaßnahmen auf entwässerten Mooren sind entweder unwirksam – der Lebensraum hängt von hohen Wasserständen ab – oder sie sind nicht standortgerecht. Das ist kontraproduktiv für den Klimaschutz.

Konflikte zwischen Schutz, Wiederherstellung und Nutzung

Der Entscheidungsprozess zum Nature Restoration Law war politisch konfliktbeladen und die Differenzen sind nicht beigelegt. Entscheidungen über die Finanzierung der Renaturierungsmaßnahmen sollen erst nach dem Beschluss geklärt werden, Vorgaben zum Abbau kontraproduktiver Subventionen fehlen ganz. Es gibt keine Handlungsempfehlungen, wie Prioritäten gesetzt werden sollen, wenn es Konflikte zwischen Schutz, Wiederherstellung und Nutzung gibt oder wie Synergien in puncto Klimaschutz entwickelt werden.

Wichtige Verhandlungspartner im Europäischen Parlament haben auf eine vollständige Ablehnung des Gesetzesvorschlags gesetzt, nicht zuletzt aufgrund der Befürchtungen, dass Nutzungen stark eingeschränkt oder verboten werden. Regierungen von EU-Mitgliedstaaten, die diesen politischen Positionen nahestehen, sollen nun an der Zielerreichung arbeiten. Diese Ausgangssituation belastet die anstehende Umsetzung. Dabei kommt der klugen Aushandlung zwischen Naturschutz und Land- und Meeresnutzung eine Schlüsselrolle zu.

Um Natur wieder herzustellen, müssen Gebiete aus der Nutzung genommen oder deutlich schonender als bisher bewirtschaftet werden. Einschnitte in die Produktion können jedoch den Nutzungsdruck auf andere Ökosysteme auch in anderen Weltregionen erhöhen – und dort zu Verschlechterungen für die Natur führen. Um solche unerwünschten Folgen zu begrenzen, ist es wichtig, Synergien zwischen Naturschutz und produktiver Landnutzung auszuschöpfen.

Der ausgehandelte Kompromiss, je nach Versorgungslage auf den Agrarmärkten Renaturierungsmaßnahmen aussetzen zu können, ist kritisch zu bewerten. Naturschutz nach Konjunkturlage ist eine schlechte gesellschaftliche Investition. Erst eine Bestäuberpopulation aufzubauen, um ihr dann nach Maßgabe des Getreidepreises den Lebensraum wieder zu entziehen, kann nicht im gesellschaftlichen Interesse liegen – auch nicht in dem der Landwirtinnen und Landwirte.

Weiterführende Links:

Thünen Working Paper 224

Thünen Working Paper 156

Thünen-Pressemitteilung zu Flächennutzung und Flächennutzungsansprüchen in Deutschland

 

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