Der Felchen ist so etwas wie der Hering des Bodensees: beliebtester Speisefisch, von mehreren Anrainerstaaten genutzter Bestand, das Rückgrat der Bodenseefischerei. Und ähnlich wie dem Heringsbestand der westlichen Ostsee geht es auch dem Felchen-Bestand des Bodensees schlecht. Im Jahr 2024 musste die Fischerei eingestellt werden, weil der Bestand praktisch zusammengebrochen war. Gemeinsam haben Meeresforschende vom Thünen-Institut für Ostseefischerei und der Dansk Tekniske Universitet (DTU) Aqua in Lyngby sowie Binnenfischerei-Experten der Fischereiforschungsstelle Langenargen am Bodensee, der Universität Konstanz und dem Potsdamer Institut für Binnenfischerei nach den Ursachen gesucht. Die Ergebnisse sind nun im renommierten Canadian Journal of Fisheries and Aquatic Sciences erschienen.
Felchen-Bestand auf historischem Tiefpunkt
„Der Felchen-Bestand und die Entnahmen durch die Fischerei werden seit mehr als hundert Jahren engmaschig beobachtet. Eine kontinuierliche Bestandsberechnung, wie wir sie für die Meeresfischbestände schon lange haben, gibt es aber bisher nicht“, erläutert Stefanie Haase, Erstautorin der Studie. Die Expertin für Fischbestandsberechnungen hat deshalb das von Casper Berg von DTU Aqua entwickelte Bestandsberechnungsmodell SPiCT auf die verfügbaren Daten der Bodenseeforscher angewendet. Bisher wurde das Modell nur für Meeresfischbestände genutzt. „Eine Übertragung des Modells auf Süßwasserfische ist aber durchaus möglich und zulässig“, sagt Haase. Dafür notwendig seien etwa lange und umfangreiche Datenserien. Diese liegen für das Bodensee-Felchen (Coregonus wartmanni) vor. Der lachsartige Fisch gehört zu den Süßwasserfischen, deren Entwicklung am besten dokumentiert wird. Die Modellergebnisse zeigen erstmals, welche Menge an Felchen hätte entnommen werden können, damit der Bestand nachhaltig bewirtschaftet worden wäre. Die tatsächlichen Fangmengen waren jedoch zu hoch. Der Bestand ist jetzt an einem historischen Tiefpunkt angekommen.
Ursachen des Bestandsrückganges
Die Ursachen dafür haben die Forschenden im Detail analysiert. Zum einen fehlt eine bestandsgenaue Bewirtschaftung für Fischbestände wie in der Meeresfischerei praktiziert. In Nord- und Ostsee etwa werden Bestände nach dem Ansatz des Maximum Sustainable Yield (MSY) bewirtschaftet, also dem maximalen nachhaltigen Dauerertrag. Anhand dieses Ansatzes kann man feststellen, wie hoch Fischertrag und Fischereidruck sein dürfen. Während im Meer üblicherweise die Fangmengen der Fischerei beschränkt werden, wurde die Fischerei im Bodensee über die Anzahl an erlaubten Netzen und die dafür vorgeschriebene Maschenweite reguliert – Maßnahmen, die nach Erfahrung der Fischereiforschenden aus Rostock häufig zur sogenannten Rekrutierungsüberfischung führen.
So geschehen am Bodensee: Seit den späten 80er Jahren greifen Umweltschutzmaßnahmen zur Reduzierung des Nährstoffeintrages. Der See entwickelt sich wieder in seinen Ursprungszustand als nährstoffarmer Binnensee zurück. „Ein spannender Gegensatz zur Ostsee, die ja sehr unter der Überdüngung leidet“, sagt Stefanie Haase. Die damit verbundene verringerte Produktivität führt allerdings zu weniger Nahrung für die Felchen, die deshalb langsamer wuchsen. Als die Fangmengen daraufhin zurückgingen, wurde den Fischern gestattet, die Maschenweite zu verkleinern und die Fangzeiten auszuweiten. Die Folge: Es wurden zu viele Felchen entnommen, der Bestand ist eingebrochen. In dieser Situation konnte sich der invasive Stichling ausbreiten. Er machte dem Felchen nicht nur die Nahrung streitig, sondern veränderte durch sein massenhaftes Auftreten auch das Ökosystem. „Die Bodensee-Forscher gehen davon aus, dass die Stichlinge auch Larven der Felchen fressen. In der Ostsee fressen sie dagegen die Eier der Heringe“, berichtet Haase.
„Damit sich der Felchen-Bestand überhaupt wieder erholen kann, war die Schließung der Fischerei, die die Bodenseeanrainer für die Jahre 2024 bis 26 beschlossen haben, die richtige Maßnahme“, sagt die Wissenschaftlerin. Der geringe Fischereidruck allein werde allerdings kaum zu einer schnellen Erholung des Felchenbestandes führen. Auch die Anzahl der Stichlinge müsste abnehmen. Möglicherweise reguliert sich die Natur auch selbst: Seit 2024 treten aus bisher unerklärten Gründen viel weniger Stichlinge auf. Wenn dieser Zustand anhält, könnte sich der Felchen-Bestand schneller erholen. Hoffnung auf bessere Zeiten für die Bodenseefischer besteht daher durchaus.







