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Landwirtschaftliche geprägte Landschaft, im Vordergrund eine Bank, im Hintergrund ein Ort
Landwirtschaftliche geprägte Landschaft, im Vordergrund eine Bank, im Hintergrund ein Ort
Institut für

LV Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen

Projekt

Vom Kommen, Gehen und Bleiben (KoBaLd): Wanderungsgeschehen und Wohnstandortentscheidungen aus der Perspektive ländlicher Räume



Wörter-Spielbrett mit Schlüsselbegriffen der Wanderungsforschung.
© Annett Steinführer/Heidrun Fornahl
Wohnstandortentscheidungen sind längst nicht auf Wanderungen beschränkt, sondern umfassen eine Vielzahl von Handlungsoptionen.

Ländliche Räume wurden in der öffentlichen Debatte über lange Zeit pauschal als Abwanderungsregionen beschrieben. Ähnlich einseitig galten sie in der COVID-19-Pandemie gern als Sehnsuchtsorte und Destinationen großstädtischer Zuwanderung.

Hintergrund und Zielsetzung

Im Mittelpunkt unseres Forschungsinteresses stand das Binnenwanderungsgeschehen in Deutschland zwischen 2000 und 2022 und, mit einem Fokus auf den Zeitraum 2015 bis 2020, die dafür auf der Ebene privater Haushalte ausschlaggebenden Entscheidungen.

Als Wohnstandortentscheidungen untersuchten wir vergangene Wanderungen (also Wohnstandortwechsel, bei denen mindestens die administrative Grenze einer Gemeinde überschritten wird), Rückwanderungen und residentielle Multilokalität sowie das längerfristige Bleiben in ländlichen Räumen. Auch beabsichtigte Wohnmobilität fand Berücksichtigung.

Wohnstandortentscheidungen definieren wir als im Lebensverlauf immer wieder stattfindende Abwägungs- und Aushandlungsprozesse von Haushalten in Bezug auf einen subjektiv angemessenen Wohnstandort. Typische Auslöser sind Veränderungen im Haushalt (etwa die Geburt eines Kindes oder eine Scheidung) oder außerhalb, wie ein neuer Job oder der Wandel des Wohnumfelds. Auch Zufälle und Gelegenheiten spielen für Wohnstandortentscheidungen eine Rolle. 

Vorgehensweise

  • Modul 1: Analyse des Binnenwanderungsgeschehens in Deutschland zunächst für den Zeitraum 2000 bis 2020, aufgrund der COVID-19-Pandemie später erweitert bis in das Jahr 2022 (verantwortlich: ILS)
  • Modul 2: Durchführung und Analyse von 30 wohnbiographischen Interviews zu vergangenen und beabsichtigten Wohnstandortentscheidungen (jeweils 15 in Großstädten und 15 in ländlichen Räumen) (verantwortlich: Thünen-Institut)
  • Modul 3: bundesweite Telefonbefragung (n=3.600) im Sommer (verantwortlich: Thünen-Institut und ILS)
  • Modul 4: Ergebnissynthese, Schlussfolgerungen und Ableitung von Empfehlungen für die Wanderungsforschung und die Praxis der Raumentwicklung (verantwortlich: Thünen-Institut und ILS)

Daten und Methoden

Das KoBaLd-Projektteam entwickelte ein neuartiges multimethodisches Design:

  • Erstens werteten wir Daten der bundesweiten Wanderungsstatistik für den Zeitraum 2000 bis 2022 aus. Dabei konnten wir neben den langfristigen räumlichen Mustern der Binnenwanderung auch erste Folgen der COVID-19-Pandemie in den Blick nehmen.
  • Zweitens führten wir 30 leitfadengestützte Interviews mit narrativen Elementen in Dörfern und großstädtischen Quartieren durch, um Wohnbiografien und ihre Bedingungsfaktoren nachzuvollziehen und zu verstehen.
  • Den dritten und wesentlichen Schritt unserer Empirie bildete eine telefonische Bevölkerungsbefragung (n = 3.600) mit fünf Teilstichproben. Dabei handelte es sich zum einen um Personen, die sich vier Typen von Wanderungsentscheidungen zuordnen lassen, nämlich Wanderungen zwischen ländlichen und städtischen Räumen sowie innerhalb der beiden Raumtypen (verkürzt genannt „Land zu Stadt“, „Stadt zu Land“, „Land zu Land“ bzw. „Stadt zu Stadt“). Zum anderen nahmen wir Personen in den Blick, die seit mindestens zehn Jahren in ländlichen Räumen geblieben sind („Gebliebene Land“).
    Aus dem Stichprobendesign ergaben sich Vergleichsmöglichkeiten zwischen fünf Typen von Wohnstandortentscheidungen bzw. zwischen vier Typen von Wanderungsentscheidungen. Methodisches Neuland betraten wir insbesondere durch den expliziten Einbezug unterschiedlicher Quell- und Zielräume von Binnenwanderungen (ländliche und städtische Räume). Die Befragung enthielt geschlossene und offene Fragen, die vielfältige Auswertungsmöglichkeiten eröffnen.

Unsere Forschungsfragen

  • Welche Trends des Wanderungsgeschehens und gegebenenfalls Trendwenden mit Bezug auf ländliche Räume lassen sich für den Zeitraum 2000 bis 2022 identifizieren?
  • Welche Einflussfaktoren sind für eine Wohnstandortentscheidung – ob Wanderung oder Bleiben – in bestimmten Lebensphasen besonders relevant, und wie werden solche Entscheidungen in Haushalten (immer wieder neu) verhandelt?
  • Wie unterscheiden sich die vorab unterschiedenen Typen von Wohnstandortentscheidungen hinsichtlich der Motive, ihrer Bedingungsfaktoren und der Haushaltskontexte?
  • Was folgt aus den unterschiedlichen Wohnstandortentscheidungen für oder gegen ländliche Räume? 

Ergebnisse

1. Das Binnenwanderungsgeschehen in Deutschland ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts von einer doppelten Trendwende gekennzeichnet. In der ersten Hälfte des ersten Jahrzehnts kam es zu einer auffälligen Verschiebung zugunsten städtischer Räume (Reurbanisierung). Seit dem Jahr 2011 zeichnet sich eine erneute Veränderung der dominierenden Kräfte zugunsten suburbaner und ländlicher (einschließlich sehr ländlicher) Räume ab (Dezentralisierung). Während der COVID-19-Pandemie setzte sich der Dezentralisierungstrend fort und verstärkte sich, doch war die Pandemie dafür nicht ursächlich.

2. Wanderungsentscheidungen zugunsten ländlicher oder städtischer Räume erfolgen in einem komplexen Wechselspiel von persönlichen Änderungsbedarfen, Haushaltsressourcen, Wohnort- und Wohnstandortpräferenzen sowie den Gelegenheiten und Beschränkungen der jeweiligen Wohn- und Immobilienmärkte. Die vergleichende Unterscheidung der vier Wanderungstypen und des Bleibetyps lassen Zusammenhänge zwischen Lebensphasen und Wohnstandortpräferenzen erkennen und verweisen partiell auf sozial selektive Wohnstandortentscheidungen zugunsten ländlicher bzw. städtischer Räume.

3. Bei allem gesellschaftlichen Wandel belegen unsere Untersuchungen die anhaltend hohe Erklärungskraft der Lebensverlaufsperspektive für die Wohn- und Wanderungsforschung. Interessanterweise geht der Großteil der Binnenwanderungen mit Haushaltsveränderungen (meist Vergrößerungen) einher.

4. Berufliche und persönliche Gründe sind von hoher Bedeutung für Wegzugs- wie Zuzugsentscheidungen über alle Wanderungstypen hinweg. Ausbildungsbezogene Gründe spielen vor allem bei Wanderungen von ländlichen in städtische Räume, wohnungsbezogene Gründe hingegen beim Zuzug in ländliche Räume eine Rolle. Die Höhe des Kaufpreises bzw. der Wohnkosten ist das mit Abstand wichtigste Kriterium bei der Wahl eines Wohnstandortes, das zweitwichtigste ist das Lebensgefühl im heutigen Wohnort.

5. Das Wohnen zur Miete ist ein wichtiges Charakteristikum ländlicher Räume in Deutschland. Der dominierende Wohnstatus von Haushalten, die in ländliche Räume ziehen, ist das Mietwohnen. Bei längerem Verbleib in ländlichen Räumen wird ein Wechsel ins Wohneigentum angestrebt und häufig realisiert („Wohnkarriere“).

6. Unsere Detailanalysen zu Rückwanderungen und residentieller Multilokalität ermöglichen Quantifizierungen dieser in der amtlichen Statistik „unsichtbaren“ Phänomene. Wir ermittelten unter allen Wanderungen ein Drittel Rückwanderungen in die Gemeinde oder Region eines früheren Wohnortes. Multilokales Wohnen wird je nach Teilstichprobe von bis zu einem Viertel der Gewanderten praktiziert. Unter den Gebliebenen ist es ein Achtel.

7. Bleibeentscheidungen stehen im Lebensverlauf immer wieder an und schließen Auseinandersetzungen mit dem Gehen ein. Ein wesentlicher Einflussfaktor für das Bleiben ist die Regionsverbundenheit. Dabei sind Gebliebene ausgesprochen heterogen. Neben sozialstrukturellen Merkmalen ist ihre Wohndauer ein Erklärungsfaktor für unterschiedliche Bleibegründe. Zum besseren Verständnis des Bleibens wären vergleichende Analysen zwischen Gebliebenen in ländlichen und in städtischen Räumen wünschenswert.

 

Download (Flyer)
     

 

Projektflyer: KoBaLd (Stand: März 2019)

Download (PDF, nicht barrierefrei) 1.862 KB

Links und Downloads

Beteiligte externe Thünen-Partner

Geldgeber

  • Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH)
    (national, öffentlich)

Zeitraum

9.2018 - 10.2022

Weitere Projektdaten

Förderprogramm: Bundesprogramm Ländliche Entwicklung
Projektstatus: abgeschlossen

Publikationen zum Projekt

  1. 0

    Steinführer A, Osterhage F, Tippel C, Kreis J, Moldovan A (2024) Urban-rural migration in Germany: A decision in favour of `the rural´ or against `the urban´? J Rural Studies 111:103431, DOI:10.1016/j.jrurstud.2024.103431

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn068908.pdf

  2. 1

    Steinführer A, Osterhage F (eds) (2024) Vom Kommen, Gehen und Bleiben : Wanderungsgeschehen und Wohnstandortentscheidungen aus der Perspektive ländlicher Räume. Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 344 p, Thünen Rep 118, DOI:10.3220/REP1733391185000

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn069200.pdf

  3. 2

    Moldovan A, Osterhage F, Steinführer A, Tippel C (2024) Wanderungsgründe abfragen: Anregungen für die Umfragepraxis [online]. Stadtforsch Statistik 37(2):73-81, zu finden in <https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-97871-1> [zitiert am 24.10.2024]

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn068946.pdf

  4. 3

    Osterhage F, Steinführer A (2022) Wer zieht wohin? LandInForm(3):12-13

  5. 4

    Peter H, Tippel C, Steinführer A (2022) Wohnstandortentscheidungen in einer wohnbiographischen Perspektive : Eine explorative Studie in ländlichen und großstädtischen Kontexten. Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 152 p, Thünen Rep 93, DOI:10.3220/REP1647852571000

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn064728.pdf

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