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Expertise

Nachhaltigkeitszertifizierung von Fleisch: Die Initiative Tierwohl

Josef Efken | 03.06.2022


MA Institut für Marktanalyse

Die Nutztierhaltung wird in Deutschland zunehmend kritisiert. Im Fokus stehen vor allem die Schweine- und Geflügelhaltung. Inhaltlich richtet sich die Kritik insbesondere an das zu geringe Platzangebot für die Tiere. Mit dem ITW-Label soll es den Tieren besser gehen.

Die Initiative Tierwohl (ITW) konzentriert sich ausschließlich auf Fleischprodukte aus der Schweine- und Geflügelhaltung. Bis Ende 2020 hat sich die Zahl der teilnehmenden Betriebe auf 4.416 Schweine haltende Betriebe und 2.011 Geflügel haltende Betriebe erhöht. Damit werden laut ITW fast ein Drittel der Schweine und rund 70 Prozent der Hähnchen und Puten, die in Deutschland gehalten werden, nach den Vorgaben der Initiative Tierwohl gehalten.

Die Initiative Tierwohl wurde am 1. Januar 2015 in einer konzertierten Aktion der Landwirtschaft gegründet – vertreten durch den Bauernverband gemeinsam mit Unternehmen der Schlachtung und Fleischverarbeitung und den großen Lebensmitteleinzelhandelsketten inklusive Discountern. Zum einen wollte man verbindliche gesetzliche Verschärfungen der Tierhaltung durch freiwillige Vereinbarungen verhindern. 1,2 Zum anderen bestand die Befürchtung, dass sich die zunehmend kritische Haltung der Bevölkerung mittelfristig in Konsumrückgängen bemerkbar machen könnte.

Die Standardkriterien wurden in einem Expertengremium mit Vertreterinnen und Vertretern aus Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel erstellt. Zu Beginn waren auch der Deutsche Tierschutzbund und der Tierschutzverein ProVieh beratend eingebunden, beendeten dann jedoch aufgrund unzureichend ambitionierter Regelungen zugunsten der Nutztiere das Engagement. 3,4

In den ersten beiden Programmperioden 2015 bis 2017 und 2018 bis2020 bestand der Maßnahmenkatalog aus verpflichtenden Basiskriterien sowie aus freiwilligen Wahlkriterien(Initiative Tierwohl 2016). Dies hat sich im Januar 2021 geändert: Mit dem Beginn der dritten Programmperiode 2021 bis 2023 besteht der Kriterienkatalog nunmehr ausschließlich aus verpflichtenden Kriterien.5

Die Haltungskriterien für Schweine und Geflügel liegen über den gesetzlichen Mindeststandards und beziehen sich auf Aspekte wie Platzangebot, Fütterung, Stallklima, Lichtverhältnisse oder die Ausgestaltung der Ställe. Die Kriterien wurden im Laufe der Zeit mehrfach angepasst – detaillierte Informationen zu den Kriterien können auf der Website der ITW eingesehen werden.  

Neu und außergewöhnlich war in den ersten beiden Programmperioden das Finanzierungsmodell der ITW. Es entstand aus dem Dilemma, dass zwar die Gesellschaft wachsende Ansprüche an die Nutztierhaltung stellte, eine Zahlungsbereitschaft für dadurch teurere Fleischprodukte jedoch nicht vorhanden war.

Weil es nicht gelang, die zusätzlichen Kosten der ITW-Produkte für eine anspruchsvollere Nutztierhaltung durch höhere Preise zu kompensieren, entwickelte das Konsortium eine Fondslösung: Für jedes Kilogramm verkauftes Schweine- und Geflügelfleisch wurden zunächst 4 Cent, seit 2018 dann 6,25 Cent vom Lebensmitteleinzelhandel in Tierwohlfonds eingezahlt. Die zusätzlichen Kosten wurden also auf den kompletten Fleisch- und Wurstkonsum umgelegt.

Zu Beginn standen über die 4 Cent je Kilogramm Fleisch- und Wurstwaren vom Schwein und Geflügel jährlich 85 Millionen Euro zur Verfügung. In der zweiten Phase wurde der Betrag auf 6,25 Cent/kg erhöht, so dass ca. 132 Millionen Euro im Jahr verfügbar waren. Mit dem Geld wurde den Tierhaltern in diesen beiden Programmperioden eine Grundvergütung für die Einhaltung der Basiskriterien sowie eine Zusatzvergütung je nach Einhaltung der Wahlkriterien gezahlt.

Das Finanzierungsmodell sah zunächst nicht vor, dass die entsprechenden Fleisch- und Wurstwaren mit einem Tierwohllabel versehen waren. Kritiker warfen der Initiative Tierwohl daher mangelnde Transparenz vor. Seit 2018 kann zumindest für viele Geflügelprodukte die Rückverfolgbarkeit bis zum landwirtschaftlichen Betrieb gewährleistet werden, was auch eine Kennzeichnung der Produkte als Tierwohlfleisch ermöglichte. Seit 2021 ist das nun auch für Schweinefleisch möglich, da sowohl die Ferkel als auch die Mastschweine aus ITW-Betrieben stammen müssen.

In der Programmperiode 2021 bis 2023 soll das Finanzierungsmodell von einer Fondsfinanzierung auf eine Marktfinanzierung umgestellt werden. Das bedeutet, dass die Tierwohlmaßnahmen der landwirtschaftlichen Betriebe nun direkt von den Schlachtunternehmen oder Vermarktern mit einem Aufpreis vergütet werden.

Die Teilnahme eines landwirtschaftlichen Betriebes ist mit einem erstmaligen Programm-Audit verbunden. Danach finden zweimal jährlich Vor-Ort-Kontrollen statt, von denen eine unangekündigt ist. Die ITW verpflichtet Tierhalter verbindlich zur Teilnahme am QS-System.

Das Unternehmen „QS Qualität und Sicherheit GmbH“ ist 2001 von der Agrar- und Ernährungswirtschaft zur Lebensmittelkontrolle gegründet worden. Es ist für die Kontrolle der Fleisch- und Wursterzeugung entlang der gesamten Wertschöpfungskette zuständig und hat nahezu alle landwirtschaftlichen Betriebe mit Tierhaltung unter Vertrag. Bei der ITW ist QS zuständig für die Organisation und Umsetzung der Kontrollen.

Kritische Betrachtung

Tierschutz- und Verbraucherschutzverbände kritisieren die ITW seit ihrem Bestehen erheblich. Unter anderem werden die Haltungskriterien als zu wenig ambitioniert angesehen. So konnte die ITW bis Ende 2020 nicht für das komplette Leben eines Schweines verbesserte Haltungsbedingungen gewährleisten, da ITW-Ferkelaufzüchter auch Ferkel von Sauenhaltern kaufen konnten, die nicht an der ITW teilnehmen.

Weiterhin wird dem Lebensmitteleinzelhandel „Greenwashing“ vorgeworfen: Der Handel hebt hervor, an der ITW teilzunehmen, obwohl nur ein sehr kleiner Teil des Angebots an Fleisch- und Wurstwaren von Tieren aus der ITW stammt. Das ist aber für die Verbraucher nicht ersichtlich. Zudem wird bemängelt, dass sich die ITW ausschließlich auf Stakeholder der Fleischerzeugung und -vermarktung, also der in die Kritik geratenen Akteure stützt. Dadurch könne eine grundlegende Änderung der Nutztierhaltung nicht gelingen.

Zumindest in einigen Punkten kann die ITW Verbesserungen nachweisen. So müssen ITW-Ferkelaufzüchter seit Anfang 2021 ihre Ferkel von ITW-Sauenhaltern beziehen, und und in den Geschäften werden zunehmend Produkte mit ITW-Label angeboten. Auch die Kriterien wurden weiterentwickelt und zum Teil verschärft – wenn dies auch auf einem Niveau geschieht, das von Tierschutzverbänden und vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern nach wie vor als unzureichend angesehen wird. An dieser Stelle sollte jedoch auch anerkannt werden, dass die ITW eine hohe Marktdurchdringung erzielt hat, während Tierwohlinitiativen und Siegel mit ambitionierteren Kriterien lediglich eine kleine Marktnische bedienen.

Literatur zum Weiterlesen

(1) Zeug, Katrin (2015): Initiative Tierwohl: Schweinerei im Kühlregal. In: DER SPIEGEL, 24.10.2015. Online verfügbar unter www.spiegel.de/wirtschaft/initiative-tierwohl-schweinerei-im-kuehlregal-a-1053463.html, zuletzt geprüft am 03.06.2022.

(2) Rainer Münch (2014): Tierhaltung braucht gesellschaftliche Akzeptanz. Der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV), Johannes Röring, und der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes (DTSB), Thomas Schröder, über unterschiedliche Ansätze für mehr Tierwohl in der Land-wirtschaft. In: Ländlicher Raum 65 (02), S. 34–38.

(3) lw-heute.de (2016): Deutscher Tierschutzbund steigt bei Initiative Tierwohl aus. Hg. v. Landwirtschaftliches Wochenblatt. Landwirtschaftsverlag Hessen GmbH. Online verfügbar unter www.lw-heute.de/deutscher-tierschutzbund-steigt-initiative-tierwohl, zuletzt aktualisiert am 04.12.2020, zuletzt geprüft am 03.06.2022.

(4) agrarheute (2016): PROVIEH steigt aus Initiative Tierwohl aus. Online verfügbar unter www.agrarheute.com/land-leben/provieh-steigt-initiative-tierwohl-528064, zuletzt aktualisiert am 28.10.2016, zuletzt geprüft am 03.06.2022.

(5) agrarheute (2021): Initiative Tierwohl: Das ändert sich für Schweinehalter. Online verfügbar unter www.agrarheute.com/tier/schwein/initiative-tierwohl-aendert-fuer-schweinehalter-571103, zuletzt geprüft am 03.06.2022.

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