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Expertise

Einschlagstopp für alte, naturnahe Buchenwälder

Andreas Bolte | 08.12.2022


WO Institut für Waldökosysteme

Der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung sieht vor, den Einschlag in alten, naturnahen Buchenwäldern im öffentlichen Besitz zu stoppen. Damit soll ein Beitrag sowohl zum Klimaschutz als auch zum Biodiversitätsschutz geleistet werden. Alte, naturnahe Buchenwälder kommen je nach Definition auf ca. 1 – 3 % der Waldfläche in Deutschland vor. Was ist von der Maßnahme für den Klima- und Naturschutz zu erwarten?

Die Rotbuche (Fagus sylvatica) ist ein typischer Baum Mitteleuropas. Von Natur aus wären 75 % der Waldfläche Deutschlands Buchenwälder. Nach Übernutzung der Wälder vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert wurden viele Buchenwälder aus wirtschaftlichen und praktischen Gründen durch Nadelwälder, meist mit Fichte oder Kiefer, ersetzt.

Nach der letzten Bundeswaldinventur 2012 ist die Buche derzeit auf 16,6 % der Waldfläche (ca. 1,8 Mio. ha) vorherrschend. Im öffentlichen Wald wachsen auf knapp 1,2 Mio. ha Wälder, in denen die Buche dominant ist. Diese Wälder liegen vorwiegend im Besitz von Städten und Kommunen sowie der Länder, deutlich weniger ist Bundeswald.
 

Alte, naturnahe Buchenwälder – wie definiert?

Die Maßnahme Einschlagsstopp bedeutet einen vollständigen Nutzungsverzicht ohne zeitlich definierte Begrenzung. Daher ist es wichtig, zunächst zu definieren, welche Art von Buchenwäldern betroffen sind. Die vom Thünen Institut vorgeschlagene Definition umfasst vier Kriterien:

  1. Buchenwälder mit mindestens 75 % Buchenanteil an der Grundfläche decken die Ansprüche an naturnahe Buchenwälder gut ab; geringere Anteile bergen das Risiko, Mischwälder mit naturfernen Nadelbaumanteilen, sog. Halbforsten, mit einzubeziehen.
  2. „Alte“ Buchenwälder sollten ein Mindestalter von 140 Jahren haben, denn bis zu diesem Zeitpunkt ist der Zenit der Wertholzproduktion bereits erreicht. Der wirtschaftliche Verlust durch Nutzungsverzicht ist ab diesem Alter also geringer als bei jüngeren Beständen.
  3. Da Buchenwälder den Großteil der rezenten natürlichen Vegetation in Deutschland darstellen, sind alle heute vorkommenden Buchenwälder (mit > 75 % Buchenanteil) als naturnah einzustufen.
  4. Eine Mindestgröße von 1 ha Waldfläche liefert ein buchenwaldtypisches Waldinnenklima, das zur Entwicklung einer charakteristischen Buchenwaldflora beiträgt.

Wendet man diese Kriterien an, so ergibt sich eine Fläche von 113.000 ha alter, naturnaher Buchenwälder im öffentlichen Besitz (ca. 1 % Waldanteil). Zum Vergleich: Bei Absenkung der Altersgrenze auf 120 Jahre, des Buchenmindestanteils auf 50 % und Verzicht auf 1 ha Mindestfläche erhöht sich die Gesamtfläche auf ca. 365.000 ha Fläche im öffentlichen Wald (ca. 3 % Waldanteil). Hohe Anteile alter, naturnaher Buchenwälder finden sich in Hessen (s. Foto „Urwald“ Sababurg), Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.

Wirkung des Einschlagsstopps auf Klima- und Naturschutz

Durch den Nutzungsverzicht in 120- bzw. 140-jährigen naturnahen Buchenwäldern können kurzfristig schätzungsweise 3,8 bzw. 1,9 Mt CO2 (im Mittel 2,7 Mt CO2) jährlich zusätzlich in der Biomasse aufgenommen werden. Dies entspricht 0,3 bis 0,6 % der deutschen Treibhausgas-Emissionen des Jahres 2021 (675 Mt CO2). Hier nicht berücksichtigt sind entgangene Substitutionswirkungen des nicht genutzten Holzes beim Ersatz energieintensiver Materialien wie Beton, Stahl oder Ziegel bzw. fossiler Brennstoffe durch Holz aus diesen Wäldern. Dies vermindert die Klimaschutzleistung des Einschlagsstopps zusätzlich. Nicht zu vernachlässigen ist außerdem der Anteil an Risikoflächen im Klimawandel. Knapp 40 % der per Definition verfügbaren 113.000 ha alter, naturnaher Buchenwälder wachsen auf trockenen bis sehr trockenen Böden. Dadurch besteht ein deutlich erhöhtes Absterberisiko, wodurch der Erhalt bzw. die angestrebte Erhöhung des Kohlenstoffvorrats durch den Einschlagstopp gefährdet ist.

Die wesentliche Bedeutung dürfte der Nutzungsverzicht daher für den Schutz und die Entwicklung der typischen Biodiversität in alten Buchenwäldern haben. Hier entwickeln sich, vor allem beim Übergang in die Zerfallsphase, sowohl Sonderstrukturen wie Astabbrüche, Baum- und Mulmhöhlen als auch stehendes und liegendes Totholz ungestört. Damit liefern die Buchenwälder zusätzlichen Lebensraum für seltene totholzbewohnende Insekten wie den Balkenschröter (Dorcus parallelipipedus) oder den Alpenbockkäfer (Rosalia alpina) und Pilze wie den Ästigen Stachelbart (Hericium coralloides). Werden die Flächen dann noch über bestehende Schutzgebiete und Biotopverbundsysteme miteinander vernetzt, ermöglicht dies die Mobilität seltener waldbewohnender Arten.
 

Fazit

Ein Einschlagsstopp in alten, naturnahen Buchenwäldern im öffentlichen Besitz hat nur einen begrenzten Effekt auf den Klimaschutz, weil die in Frage kommenden überschaubaren Waldflächen nur geringe zusätzliche CO2-Einbindungskapazitäten liefern. Außerdem können trockenheitsgefährdete Buchenwälder nicht aktiv in anpassungsfähige Wälder umgebaut werden, wenn kein Eingriff mehr möglich ist.

Mit Blick auf die biologische Vielfalt können diese Gebiete jedoch sehr bedeutsam sein: Sie können einen wichtigen Beitrag zum Schutz von alt- und totholzgebundenen Insekten-, Pflanzen- und Pilzarten leisten, insbesondere wenn sie gut vernetzt sind. Vernetzte Biotope bieten Ausbreitungsmöglichkeiten für diese seltenen Arten und tragen so zu deren Erhaltung bei.

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