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Expertise

Profitieren Kälber mit Mutterkontakt auch als erwachsene Tiere?

Kerstin Barth | 31.05.2022


OL Institut für Ökologischen Landbau

Zuchtziel in der Milchkuhhaltung ist die wirtschaftliche Leistungskuh, die dank ihrer stabilen Gesundheit und guten Fruchtbarkeit über viele Laktationen nutzbar ist. Das Sozialverhalten der Kühe wird zwar noch nicht direkt in der züchterischen Arbeit berücksichtigt, jedoch trägt ein angepasster Umgang mit belastenden Situationen, wie z.B. der Eingliederung in eine bestehende Gruppe sicher positiv zur Leistungsfähigkeit der Kühe bei.

Die Eingliederung in die Milchviehherde stellt für tragende Färsen oder Erstkalbinnen eine besondere Herausforderung dar: Neben der fremden Umgebung werden die Tiere auch mit fremden Artgenossen konfrontiert. Die Anwesenheit von bekannten Tieren in der Herde wie z. B. der Mutter, kann den Stress reduzieren. Im Hinblick auf das Verhalten konnte in einem Versuch mit muttergebunden aufgezogenen Kälbern gezeigt werden, dass diese auf fremde Artgenossen interessierter reagierten und den Kontakt schneller herstellten als ihre künstlich am Eimer oder Tränkeautomat aufgezogenen Artgenossen.  

Ob muttergebunden aufgezogene Tiere, die als Kalb Kontakt zu anderen Milchkühen hatten, bei der Eingliederung im Umgang mit den fremden Kühen sozial verträglicher sind und dadurch eine ruhigere Eingliederung in die Herde vonstatten geht, haben wir wiederholt untersucht. Während wir in einem ersten Versuch zeigen konnten, dass muttergebunden aufgezogene Tiere mehr Unterlegenheitsgesten zeigten, konnte das die Wiederholung nicht bestätigen. Nachdem die Färsen gut in die Herde integriert waren, trennten wir sie in einem Test für 15 Minuten von der Herde, um ihre Reaktion auf die soziale Isolation zu beobachten. Muttergebunden aufgezogene Tiere untersuchten ihre Umgebung aktiver, was auf eine höhere Motivation schließen lässt, Unsicherheiten schneller abzuklären und zur Herde zurückzukehren.  

Der in einigen Studien nachgewiesene Zusammenhang zwischen der aufgenommenen Milchmenge in der Aufzucht und der Milchleistung in der ersten Laktation lässt vermuten, dass muttergebunden aufgezogene Tiere, denen Milch zur freien Verfügung steht, eine höhere Milchleistung besitzen als künstlich aufgezogene Tiere. Um dies zu testen, haben wir die Leistungsdaten (Milchleistung, Tiergesundheit, Fruchtbarkeit) der ersten Laktation von  muttergebunden aufgezogenen mit denen von künstlich aufgezogenen Kühen verglichen. Es zeigte sich kein Effekt des Aufzuchtverfahrens auf die Milchleistung und die Milchqualität. Auch die aufgenommene Milchmenge während der Aufzucht hatte keinen Einfluss auf diese Faktoren.  

Ein tendenzieller Effekt des Aufzuchtverfahrens und der in der Aufzucht verfütterten Milchmenge zeigte sich allerdings bei den Fruchtbarkeitskennzahlen: Bei muttergebunden aufgezogenen Tieren fiel die Erstbesamung erfolgreicher aus, die Zwischenkalbe- und Zwischentragezeiten sowie die Abkalberaten der Tiere waren höher als bei Kühen, die als Kälber mit acht Litern Vollmilch pro Tag gefüttert worden waren. Wurde die Milchmenge bei der Aufzucht jedoch auf 16 Liter Milch pro Tag erhöht, verschwanden die Unterschiede zwischen den Aufzuchtformen.  

Langzeitstudien, die über die erste Laktation hinausgehen und auch die Lebensleistung der Tiere unter den verschiedenen Aufzuchtverfahren betrachten, wurden bisher noch nicht durchgeführt.  

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