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Interview

„Aalbesatz sehen wir kritisch“

Tobias Lasner mit Reinhold Hanel (Wissenschaft erleben 2019/2)


FI Institut für Fischereiökologie

Den Bestand des Europäischen Aals wieder aufzubauen bleibt eine Herausforderung, denn viele Faktoren tragen zum Rückgang bei. Im Auftrag des Europäischen Parlaments hat das Thünen-Institut mit internationalen Partnern den Stand des Wissens zu den möglichen Schutzmaßnahmen diskutiert und sie bewertet. Welche Maßnahmen sinnvoll sind und welche nicht, erklärt Reinhold Hanel vom Thünen-Institut für Fischereiökologie.

Herr Hanel, wie steht es um den Aal?

Der Aal ist in seinem Bestand gefährdet. Die Ankunft von Jungfischen, sogenannten Glasaalen, entlang der europäischen Küsten hat seit Anfang der 1980er Jahre dramatisch abgenommen und befindet sich seither auf einem historisch niedrigen Niveau. Obwohl EU-weit bereits seit zehn Jahren Managementpläne zum Wiederaufbau des Aalbestands existieren, ist keine echte Besserung in Sicht.

Warum geht es dem Aal so schlecht?

Zahlreiche Faktoren werden für den Rückgang des Aal-Bestandes verantwortlich gemacht, und sie betreffen alle Lebensstadien – vom Larvenstadium im Atlantischen Ozean über die Wachstumsphase in Binnen- und Küstengewässern bis hin zur Rückwanderung der laichbereiten Aale in die Sargasso-See. Neben der Fischerei auf alle kontinentalen Lebensstadien führen vor allem Wasserkraft- und Pumpanlagen zu hohen und prinzipiell zählbaren Verlusten. Daneben müssen aber auch Schadstoffbelastungen, Parasiten und Krankheiten mit betrachtet werden. Klimatische Veränderungen, die sich negativ auf die Larvenentwicklung in der Sargasso-See auswirken könnten, spielen vermutlich eine zusätzliche Rolle. Zu welchen Verlusten gerade diese indirekten Faktoren beim Aal führen, wissen wir nicht.

Wie sieht die Datenlage zum Aal allgemein aus?

Vor allem im Vergleich zu den Fischbeständen in Nord- und Ostsee ist die Datenlage zu den grundlegenden biologischen Bestandsparametern unzureichend. Es mangelt selbst an verlässlichen Zahlen zum fischereilichen Ertrag. Das macht eine Bewertung schwierig, denn laut EU-Vorgaben soll sich der Erfolg der Schutzmaßnahmen an der Biomasse der abwandernden Aale orientieren. Wir können derzeit aber nur in ausgewählten Flusseinzugsgebieten überprüfen, ob Schutzmaßnahmen, wie bauliche Veränderungen an Wasserkraftwerken oder eine Reduzierung der Fischerei, die Aalabwanderung tatsächlich erhöhen. Inwieweit einzelne lokale Maßnahmen am Ende einen positiven Effekt auf den Gesamtbestand des Aals haben, wissen wir nicht. Das ist einer der wesentlichen Gründe, warum das Thünen-Institut alle drei Jahre Untersuchungen in der Sargasso-See, dem Laichgebiet der Aale, durchführt: Sollten die Schutzmaßnahmen greifen, wird sich die Anzahl der Aal-Larven in der Sargasso-See mittel- bis langfristig erhöhen.

Welche Schutzmaßnahmen gibt es?

Im Fokus stehen verschiedene Modelle, etwa die Fischerei einzuschränken, die Durchgängigkeit der Gewässer zu erhöhen, die Lebensraumqualität zu verbessern oder die lokalen Bestände in den einzelnen Seen und Flüssen durch Besatz-Maßnahmen zu erhöhen.

Was kostet der Aalschutz?

Wir konnten anhand der Fangmenge und der mittleren Kilopreise grobe Annahmen treffen. Danach liegt der Ertrag der Aalfischerei in ganz Europa bei etwa 50 Millionen Euro pro Jahr. Ein überraschend niedriger Wert, wenn man bedenkt, dass hier auch die Glasaal-Fischerei enthalten ist, die teilweise mehr als 500 Euro pro Kilogramm erzielt. Würde sich die Politik auf einen Fangstopp einigen, wäre es vermutlich möglich, den Fischern einen finanziellen Ausgleich zu zahlen. Der Internationale Rat für Meeresforschung fordert aber zu recht, alle menschlich verursachten Sterblichkeiten beim Aal zu reduzieren und bezieht ausdrücklich die Sterblichkeit durch Wasserkraftturbinen mit ein. Eine zumindest teilweise Abschaltung der Turbinen während der Aal-Wanderung würde die Kosten für den Aalschutz europaweit sprunghaft nach oben treiben. Und es ist fraglich, ob ihre Abschaltung möglich wäre, denn Wasserkraftanlagen sind in vielen Ländern wichtig für die Energieversorgung.

Welche Rolle spielt die Glasaalfischerei?

Es werden jährlich ungefähr 50 bis 60 Tonnen Glasaal legal gefangen, vor allem in Frankreich, Spanien und Großbritannien. Glasaale werden für den Besatz natürlicher Gewässer und die Aufzucht befischt, in manchen Ländern gelten sie aber auch als Delikatesse. Zudem gibt es einen illegalen Export für die Mast in asiatischen Aquakulturbetrieben. Die offiziellen Fangzahlen der kommerziellen Gelb- und Blankaalfischerei liegen europaweit bei etwa 2.500 Tonnen. In Stückzahlen übersteigt die Entnahme von Glasaalen dennoch jene von Gelb- und Blankaalen um ein Vielfaches. Eigentlich sollten 60% der Glasaalfänge für Besatzmaßnahmen verwendet werden, wohl auch als Rechtfertigung für diese Form der Fischerei.

Woran hapert es?

Leider mangelt es an einer europaweiten Kontrolle der Handelsströme. So verliert sich die Spur von mehr als der Hälfte der gefangenen Jungaale rasch. Niemand weiß, wo sie letztlich landen.

Kann Aalbesatz beim Wiederaufbau des Bestandes helfen?

Da eine künstliche Vermehrung des Aals nach wie vor nicht möglich ist, wird ein Teil der Glasaale europaweit in Binnengewässer, manchmal auch in Küstengewässer umgesiedelt. Die Idee dahinter ist, dass sie dort höhere Überlebenschancen haben als in ihren Ursprungsgewässern, von dort erfolgreich in die Sargasso-See abwandern und damit zum Bestandsaufbau beitragen können. Bis heute ist aber nicht geklärt, ob diese Praxis die Überlebenschancen der Aale wirklich steigert oder durch Fang und Transport sogar noch weiter verschlechtert.  Daher sehen wir Aalbesatz sehr kritisch.

Der Aalbesatz ist also ein Teil des Problems?

Ja, leider werden nach wie vor zahllose Gewässerabschnitte oberhalb von Wasserkraftanlagen besetzt. Sobald die erwachsenen Aale zum Laichen abwandern, sind hohe Sterblichkeiten vorprogrammiert. Zudem wird die Aal-Fischerei in vielen Regionen durch Besatz überhaupt erst ermöglicht: Der natürliche Aufstieg von Jungaalen wäre viel zu gering, um dort eine Fischerei aufrechtzuerhalten. Hier ist ein besseres, europaweit koordiniertes Management erforderlich, zu dem unsere Studie für das Europäische Parlament anregt.

Herr Hanel, vielen Dank für das Gespräch.

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