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Interview

„Die Nachwehen werden uns weiter beschäftigen…“

Marko Freese mit Marc-Oliver Aust (Wissenschaft erleben 2023/2)


FI Thünen-Institut für Fischereiökologie

Bei vielen Menschen löst das Thema Kernenergie Ängste und Vorbehalte aus. Im Sommer 2023 sorgte die beginnende Einleitung von Tritium-haltigem Wasser aus der havarierten Fukushima-Anlage in den Pazifik für mediale Schlagzeilen. Umso wichtiger sind dabei wissenschaftliche Fakten und deren sachliche Kommunikation.

Herr Aust, Ihre Arbeitsgruppe ist eine der Leitstellen des Bundes zur Überwachung der Umweltradioaktivität. Welche Aufgaben haben Sie dort?

Im Verbund der Leitstellen des Bundes sind wir zuständig für den Bereich Fische, Fischereiprodukte, Krusten- und Schalentiere sowie Meerwasserpflanzen. Wir erheben dort großräumig Messwerte von radioaktiven Stoffen, vor allem Cäsium. Bei uns in der Leitstelle werden Ergebnisse anderer Messstellen im Bundesgebiet zusammengeführt und in verschiedenen Berichten verarbeitet. Auf Basis unserer eigenen Messdaten können wir gut bewerten, ob diese Ergebnisse plausibel sind oder wo gegebenenfalls Informationen fehlen. Neben dieser Kontroll- und Berichtspflicht entwickeln wir aber auch Messmethoden oder passen bestehende Methoden an aktuelle Gegebenheiten an.

Deutschland hat sich Anfang der 2000er Jahre für den Atomausstieg entschieden. Was ist der heutige Stand in Deutschland und wie geht es weiter?

Ende April 2023 wurde das letzte Kernkraftwerk in Deutschland abgeschaltet. Die Nachwehen der Kernkraft in Deutschland werden uns allerdings weiter beschäftigen, bis alle 37 Anlagen restlos abgebaut sind. Das ist ein komplizierter und streng kontrollierter Akt. Erst nach Abschluss des Rückbaus wird eine kerntechnische Anlage aus dem Atomgesetz entlassen. Das wurde bisher nur für eine dieser Anlagen abgeschlossen.

Auch wenn wir uns in Deutschland von Kernkraftwerken getrennt haben, werden solche Anlagen in unseren Nachbarländern weiterhin betrieben. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Nun ja, nur weil wir keine laufenden Kernkraftwerke mehr haben, wird Deutschland nicht aus der Überwachungspflicht entlassen. Es gibt weiterhin Forschungsreaktoren oder medizinische Radionuklide, die überwacht werden müssen. Aber auch Unfälle andernorts können Konsequenzen für uns haben. Deutschland arbeitet daher intensiv mit Nachbarländern zusammen. Internationale Kollegen und Einrichtungen sind an unserem integrierten Mess- und Informationssystem IMIS zur Überwachung der Umweltradioaktivität interessiert und teilweise angeschlossen. In IMIS laufen alle im Bundesgebiet erhobenen Messdaten zur Umweltradioaktivität zusammen. Die rund 1.700 beteiligten automatischen Messsysteme ermöglichen eine Situationsbewertung in Echtzeit. Potenzielle Gefahren sind also auch nach Abschalten unserer Anlagen weiterhin vorhanden, zu unserer Sicherheit wird diesbezüglich aber gut überwacht.

Nutzen und Gefahren durch Kernkraftwerke werden kontrovers diskutiert, aber welche Konsequenzen gibt es bei uns eigentlich noch durch Tschernobyl?

Die Tschernobyl-Katastrophe ereignete sich vor mehr als 35 Jahren als Folge eines schiefgelaufenen Stresstests und war, im Prinzip wie auch Fukushima, eine Verkettung verschiedener kleinerer Faktoren. Die Folgen waren allerdings gewaltig. Was wir heute noch in Fisch und Wasser der Nord- und Ostsee messen, überschreitet Verbraucherschutz-relevante Grenzwerte glücklicherweise nicht und stellt daher auch keine unmittelbare Gefahr mehr dar. Dies gilt auch für ursprünglich stärker betroffene Gebiete, während in anderen Gebieten der Nord- und der Ostsee die Messwerte heute sogar jene unterschreiten, die vor der Tschernobyl-Katastrophe gemessen wurden.

Gerade Fukushima war, besonders nach der kürzlich begonnenen Einleitung von radioaktiv kontaminiertem Reaktor-Kühlwasser ins Meer, wiederholt Thema in den Medien und den sozialen Netzwerken. Was für Konsequenzen ergeben sich aus diesen Einleitungen für uns in Deutschland?

Die Folgen der Katastrophe in Fukushima sind zwar in Fischprodukten wie Thunfisch nachweisbar, aber auch hier wurden die gesetzlichen Höchstwerte nicht überschritten. Dabei ist der Grenzwert von 100 Becquerel pro kg Fisch, den sich Japan schnell nach dem Unfall auferlegte, schon recht niedrig. Zum Vergleich: Seit Tschernobyl ist der Höchstwert für Fischeinfuhren in die EU sechsmal so hoch. Auch mit eigenen Untersuchungen haben wir geprüft, ob der Fukushima-Fallout in Fischen aus unseren „Hausmeeren“ nachgewiesen werden kann. Dies war mit viel Aufwand vor Grönland möglich, da es dort kaum Signale aus dem Tschernobyl-Unfall oder europäischen Wiederaufbereitungsanlagen gibt.

Die sogenannte Bananen-Äquivalentdosis ist die Strahlungsdosis, der eine Person durch den Verzehr einer Banane aufgrund des natürlicherweise enthaltenen Kalium 40 ausgesetzt ist. Diese Referenzdosis beträgt etwa 0,1 Mikrosievert. Das entspricht auch der Dosis, die durch das Messnetz stündlich in der Umgebung von Bremerhaven gemessen wird.

Untersuchungen des Thünen-Instituts haben ergeben, dass Menschen durch den Verzehr eines Fischfilets aus der Nord- oder Ostsee (ca. 200 g) eine deutlich geringere Dosis durch künstliche radioaktive Stoffe wie Cs-137 erhalten als durch die natürliche Strahlung einer Banane.

Durch die massenhafte Verfügbarkeit teils ungefilterter Informationen ist es oft schwierig, die Übersicht zu bewahren. Mit welchen Fehleinschätzungen werden Sie als Experte immer wieder konfrontiert?

Mit der pauschalen Aussage „Radioaktivität ist schädlich“. Radioaktivität ist zunächst mal ein natürliches Phänomen. Wir sind immer von gewisser Radioaktivität umgeben, nehmen sie mit der Nahrung auf und tragen sie in uns. Daher möchte ich noch einmal betonen, dass der Gesetzgeber hierzulande versucht, uns durch Gesetze und die Umweltüberwachung der Bundes- und Landesbehörden besonders gut zu schützen. Es existiert ein enges Netzwerk an Sicherheitsmechanismen, und es wird vielerorts mit hohen Qualitätskriterien kontrolliert und gemessen.

In Zeiten von Informationsflut und „Fake News“ scheint das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Wissenschaft und Behörden leider zuzunehmen. Wie sollten Forschende ihre Ergebnisse kommunizieren, um dem entgegenzuwirken?

Wir sind Wissenschaftler, und Kommunikation war nicht Teil unserer Ausbildung. Ich begrüße es daher, dass uns bei unserer Arbeit Kommunikatoren an die Seite gestellt werden, die uns unterstützen, Ergebnisse aus Forschung und Monitoring einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Am Ende liegt es aber in der Eigenverantwortung der Menschen, sich zu informieren und Quellen zu prüfen. Wir können sie dabei nur bestmöglich begleiten.

Herr Aust, vielen Dank für das Gespräch.

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