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Interview

„Wir erfassen sämtliche relevanten Daten“

Sakis Kroupis mit Eckhard Leu | August 2020


SF Institut für Seefischerei

Mitarbeiter des Thünen-Instituts sind regelmäßig als „Scientific Observer“ auf kommerziellen Fischtrawlern, um direkt an Bord Daten aus der kommerziellen Fischerei zu gewinnen – eine wichtige Ergänzung zu den Daten, die auf den Reisen der Forschungsschiffe erhoben werden. Ein Gespräch mit Eckhard Leu, Techniker am Thünen-Institut für Seefischerei, der im August 2020 für fünf Tage im Rahmen des EU-Datenerhebungsprogramms (DCF) als Observer auf See war.

Herr Leu, wo sind Sie gerade?

In der Nordsee. Die momentane Position ist 57°21.02'N  07°41.82‘E. Wir befischen den Kabeljau in der Grundfischerei bei einer Wassertiefe von 39 Faden, was 72,3 Meter entspricht.

Welche Aufgaben haben Sie als Wissenschaftlicher Beobachter auf dem Fangschiff?

Wir erfassen hier sämtliche relevanten Daten. Im nautischen Bereich ist das die Position beim Aussetzen sowie beim Hieven des Netzes, die Schleppgeschwindigkeit, die Wassertiefe, die Wetterdaten und dazu auch die Zeiten. Fangtechnisch betrifft es das Netz. Für die Gundfischerei und die Schwarmfischerei gibt es unterschiedliche Netze. In der Krabben- und Baumkurrenfischerei ist das standardisierter. Dann haben wir noch den Fisch. Hier geht es darum, was gefangen wurde. Gezielt befischen wir hier den Kabeljau, haben aber auch noch andere Fische im Fang – Seelachs, Schellfisch, Weißer Heilbutt, Seeteufel, Leng, Scholle. Während des Verarbeitungsprozesses, also des Schlachtens der Fische, werden Proben von den Arten genommen.

Was machen Sie mit den Proben?

Die Fische werden vermessen, gewogen und von bestimmten Arten entnehmen wir direkt an Bord die Otolithen, also die Gehörsteine. Die Entnahme ist etwas „tricky“, wir ziehen sie beim Anheben des Kiemendeckels aus dem Schädel. Das muss auf diese Weise geschehen, damit die Vermarktung des Fisches gewährleistet bleibt. Prinzipiell gibt es für Grundfische wie Kabeljau, Schwarmfische wie Hering oder Makrele und Plattfische wie Scholle oder Steinbutt unterschiedliche Entnahmemethoden.

Warum sind die Otolithen so wichtig?

Man kann an ihnen das Alter der Tiere bestimmen. Mit den Parametern Alter, Länge und Gewicht können wir im Vergleich mit früheren Daten demografische Veränderungen in den Beständen erkennen.

Mit welchem Netz fischen Sie gerade?

Wir haben ein Grundschleppnetz mit einer Breite von 110 Metern, die vertikale Netzöffnung beträgt 5,3 Meter. In den norwegischen Gewässern sind ab der nördlichen Breite von 62° Fluchtfenster im Steert-Tunnel für kleine, untermaßige Tiere vorgeschrieben. Es gibt somit Vorschriften, welches Mindestmaß die jeweiligen Fischarten haben dürfen, um sie vermarkten zu können. Wir haben hier an Bord für dieses Gebiet innerhalb der EU das Mindestmaß von 120 mm Maschengröße im Steert, fahren jedoch mit 142 mm. Das erleichtert den untermaßigen Fischen die Flucht. Die Entscheidung über Netze mit größeren Maschen fällt die Reederei oder der Schiffseigner, um damit einen zusätzlichen Beitrag für nachhaltige Fischerei zu leisten.

Wie bereiten Sie sich auf eine Reise vor? Kommen die Schiffe regelmäßig in die Häfen?

Das lässt sich vorab nicht so genau sagen. Die Berufsfischer kommen in den Hafen, wenn es sein muss, abgesehen vom Löschen des Fanges. Also sind wir auf alle Fälle immer vorbereitet und können nur erahnen, wann der Einsatz beginnt. Zuvor ist eine Kontaktaufnahme mit der Reederei zwingend erforderlich, um die Mitfahrt auf dem Fischereischiff zu garantieren. Der Reeder gibt dann die Zeiten und den Hafen zum Auslaufen bekannt. Jeder sollte sehr pünktlich an Bord sein. Zeit bedeutet Geld, und das wollen die Fischer nicht verlieren. Abstimmungsbedarf hat man als Observer auch mit seiner Familie oder der Freundin – die Planung für Privates ist nicht einfach.

Was müssen Sie bei der Datenerhebung auf einem Fischereischiff alles beachten?

Jede Fischerei erfordert eine andere Ausrüstung. Mitzubringen sind das entsprechende Equipment, die Arbeitskleidung und natürlich persönliche Sachen. Dazu gehört auch das Bettzeug. Wir sind schließlich nicht in einem Hotel. Es muss an alles gedacht werden; eine Checkliste ist dabei sehr hilfreich. Was nicht dabei ist, ist nicht ersetzbar, egal ob für den dienstlichen oder für den privaten Bereich. Während der Zeit ist das Schiff nicht nur Arbeitsstätte, sondern auch zeitweiliges Zuhause.

Wie sieht es bei Sturm aus? Wird da abgewettert?

Wer schon mal Reportagen über die Fischerei gesehen hat, der weiß, dass auch schlechtes Wetter kein Grund ist, nicht zu fischen. Natürlich müssen wir hier die Schiffsgrößen und die Fangweise beachten. Eine Windstärke von 12 BFT ist für ein Schiff von 80 Metern Länge kein Problem. Pelagisch wird es schwieriger, da die Netze sehr lang sind und beim Hieven durch das Auf und Ab Schäden verursachen können. Kleine Kutter wettern auf See ab oder sind im Hafen. Im Vordergrund steht jedoch immer die Besatzung – Sicherheit steht an erster Stelle! Das Schiff, auf dem ich zurzeit bin, ist 37 Meter lang, aber sehr seegängig und kann schlechten Witterungsbedingungen gut trotzen.

Wird viel Beifang, also nicht vermarktbarer Fisch, über Bord gegeben?

Die heutigen Gesetze sind da schon sehr gut. Vieles von dem, was vor einigen Jahren innerhalb der EU noch gestattet war, ist mittlerweile verboten. Ausnahmen betreffen geschützte Arten, die in EU-Gewässern sofort und schonend wieder ausgesetzt werden müssen, und kleine Fangmengen an untermaßigen Fischen, die in verschiedenen Mengen rückgeworfen werden dürfen. Norwegen, die Färöer oder Island haben eigene strenge Gesetze, die auch zwingend eingehalten werden sollten, ansonsten wird es sehr unangenehm und auch sehr teuer. Das Rückwurf-Verbot ist bei den Fischern angekommen, sie handeln danach.

Halten Sie den Job als „Observer“ für wichtig?

Ganz klar JA! Bereits in den 90er-Jahren hatte die EU beschlossen, dass alle Anrainerstaaten, die eine Fischerei betreiben, angehalten werden, Daten bei den Berufsfischern zu erheben. Das ist ein Beitrag zur nachhaltigen Bewirtschaftung der Ressource Fisch. Dieses Umdenken haben auch die Fischer vollzogen. Unsere Aufgaben sehen vor, dass wir bei bestimmten Fischereien quartalsmäßig die Daten erheben müssen. Die Schwarmfischerei gibt die saisonalen Zyklen bestimmter Arten vor: Im Januar startet es mit Makrele, danach kommen Blauer Wittling, Hering, Stöcker, und dann wieder Makrele und Hering. Unser Einsatzgebiet für die Datenerhebung umfasst die Fanggründe im Nordost-Atlantik, von der Biskaya bis zum westlichen Gebiet Grönlands sowie nach Norden um Spitzbergen bis zur russischen Grenze. Unsere Daten sind von hoher Qualität. Das ist gut so, denn sie haben Einfluss auf neue Entscheidungen der EU, die Quotenregulierung und weitere Schutzmaßnahmen.

Welche Ratschläge können Sie neuen Kollegen geben, die als Observer im Datenerhebungsprogramm der EU anfangen?

Sehr viele! Wir „alten Hasen“ sollten unser Wissen teilen, so haben Neulinge einen leichteren Einstieg. Wichtig ist die Seemannsprache. Wichtig sind auch die Regeln an Bord, der gegenseitige Respekt und die Arbeitssicherheit. Dazu gehören ein gültiges Seetauglichkeits-Attest und eine Safety-Grundausbildung. Erst dann kommen die Erklärungen zu den Aufgaben, die vielen wichtigen Dokumente, die Ausrüstung und Checkliste. Gegenseitige Unterstützung und ein gut funktionierender Informationsfluss sind existenziell. Alle müssen über alle Schritte und Maßnahmen, die unsere gemeinsame Arbeit betreffen, informiert werden. Vertrauen und gegenseitige Unterstützung sichern nicht nur auf See das Überleben.

Herr Leu, vielen Dank für das Gespräch.

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