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Institut für

OF Ostseefischerei

Fragen und Antworten zur wissenschaftlichen Fangempfehlung des ICES für den Ostseelachs 2022

Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) hat am 15.09.2021 die jährliche Fangempfehlung für Ostseelachs veröffentlicht. Eigentlich sollte diese Empfehlung schon im Frühsommer erscheinen, die Veröffentlichung musste jedoch noch einmal überarbeitet werden.

Warum? Bisher konnten starke Lachspopulationen schwache Lachspopulationen kompensieren. Diese Herangehensweise wurde nun als nicht nachhaltig bewertet. Die neue Vorgabe sieht vor, dass jede einzelne Lachspopulation das gleiche Gewicht bei der wissenschaftlichen Fangempfehlung bekommt, um schwache Lachspopulationen besser zu schützen. Entsprechend empfiehlt der ICES, die Lachsfischerei in der Ostsee mit Ausnahme des Finnischen Meerbusens zu schließen, oder alternativ nur noch ganz im Norden der Ostsee (Bottnischer Meerbusen und Ålandsee) küstennah zu bestimmten Zeiten zuzulassen. Für den Fall eines solchen zeitlichen und räumlichen Managements könnten bis zu 75.000 Lachse gefangen werden, weitere 10.100 im Finnischen Meerbusen.

Diese Empfehlung betrifft nicht nur die Berufsfischerei, sondern auch die Freizeitfischerei. Die endgültige Entscheidung über die Bewirtschaftungsmaßnahmen bzw. Fangmengen trifft der EU-Ministerrat Mitte Oktober.

Wie steht es um den Ostseelachs?

Der Ostseelachsbestand setzt sich aus einer Vielzahl von Lachspopulationen zusammen, die aus verschiedenen Flüssen entlang der Ostseeküste stammen. Dabei werden die Bestände bzw. die einzelnen Flusspopulationen in sechs Bestandseinheiten („Assessment units“ – AUs) eingeteilt (Abb. 1; ICES 2021a).

Die Einteilung in die AUs erfolgte auf Grundlage biologischer und genetischer Eigenschaften der Populationen. Für die wissenschaftlichen Fangempfehlungen des ICES werden die AUs 1-5 zusammengefasst. Sie bilden die Grundlage für die Empfehlung für die ICES-Untergebiete 22-31 (gesamte Ostsee ohne Finnischen Meerbusen; Abb. 1). Für die AU 6 (Finnischer Meerbusen, ICES-Untergebiet 32) wird eine separate Fangempfehlung veröffentlicht.

Den größten Beitrag zum Gesamtbestand der Ostsee tragen Flüsse aus den AUs 1 und 2 bei. Rund 60 % aller in der Ostsee gefangenen Lachse stammen aus vier Flüssen in Nordschweden und Nordfinnland, allein ein Drittel aus dem Fluss Tornionjoki (auf Finnisch, Torneälven auf Schwedisch) an der schwedisch-finnischen Grenze. In diesem Fluss steigen jedes Jahr im Sommer 40.000 bis 100.000 Lachse zum Laichen auf (ICES, 2021b). Darüber hinaus werden ostseeweit jährlich etwa 4,5 Millionen ein- bis zweijährige Junglachse (Smolts) besetzt. Bei diesen Fischen handelt es sich somit nicht um Wildfische, sondern um Fische aus künstlicher Aufzucht. Dem Großteil dieser Lachse wird vor dem Besatz die Fettflosse entfernt, um sie von Wildlachsen unterscheidbar zu machen. Jüngere Lebensstadien z.B. Dottersacklarven werden auch besetzt, tragen aber aufgrund ihrer hohen natürlichen Sterblichkeit kaum zum Lachsbestand bei. Aus ökologischer Sicht sind Wildfische aufgrund ihrer größeren genetischen Vielfalt und individueller Anpassung an den Heimatfluss gegenüber Besatzfischen besonders schützenswert.

Der Lachsbestand in der Ostsee (fressende Fische im Meer) wird auf 1-1,5 Millionen Tiere geschätzt. Insgesamt haben sich die Lachspopulationen in den AUs 1-4 seit den 1990er Jahren sehr positiv entwickelt, was sich in einer kontinuierlichen Steigerung der Anzahl der abwandernden Smolts aus den Flüssen widerspiegelt (Abb. 2; ICES 2021a).

Gründe für die positive Entwicklung sind vor allem eine reduzierte fischereiliche Entnahme, aber auch die Verbesserung der Lebensraumqualität und der Durchgängigkeit einiger Flüsse. Die Gesamtfänge sind von ca. 1,2 Mio. Lachsen 1990 auf etwa 145.000 Lachse im letzten Jahr reduziert worden (Abb. 3). Vor allem die Verringerung des Fischereiaufwands in der kommerziellen Fischerei, z.B. durch das Verbot der Treibnetzfischerei in der Ostsee, trug dazu bei (ICES 2021a, b).

Die Fänge aus der Freizeitfischerei steigen dagegen seit 1990 an. Mittlerweile werden 40 bis 50 % der Gesamtentnahmen durch die Freizeitfischerei getätigt (Abb. 4). Dabei werden ostseeweit etwa 20.000 Lachse pro Jahr beim Schleppangeln (Trolling) aus der Ostsee gefangen und 30.000 in den Flüssen geangelt (ICES, 2021b).

Im südlichen Verbreitungsgebiet (insbesondere in AU 5, aber auch vereinzelt in AU 4) gibt es allerdings noch einige Flüsse mit sehr schwachen Lachspopulationen, die trotz Verringerung der fischereilichen Sterblichkeit kaum Erholung zeigen, insgesamt aber auch wenig zur Lachsproduktion in der Ostsee beitragen. Trotzdem besteht hier die Gefahr, dass lokale Populationen für immer verloren gehen und sich somit auch die genetische Vielfalt des Ostseelachses verringert (ICES, 2021 a, b).

Wie lautet die wissenschaftliche Fangempfehlung für den Ostseelachs und warum wird ein Fangstopp für die Freizeit- und Berufsfischerei in der südlichen und zentralen Ostsee empfohlen?

Der ICES empfiehlt für 2022 für den Ostseelachs (ICES Untergebiete 22-31, ohne Finnischen Meerbusen) eine Null-Fangquote für die Fischerei (sowohl Berufs- als auch Freizeitfischerei), also eine Schließung dieser Fischerei. Der Grund für diese Empfehlung ist nicht eine Verschlechterung der Situation des Gesamtbestandes oder Überfischung (die Prognosen sind hier insgesamt positiv, siehe oben), sondern eine geänderte Betrachtung der durch den ICES festgelegten Referenzwerte, die für eine nachhaltige Nutzung der Bestände angelegt werden.

Die bisherigen Fangempfehlungen des ICES spiegelten immer einen Kompromiss zwischen dem Schutz schwacher Populationen und der gleichzeitigen Nutzung durch die Berufs- und Freizeitfischerei wieder. Dabei konnten in der Gesamtbetrachtung schwache Populationen (aus Bestandseinheit (AU) 4 und 5) von starken Populationen (AUs 1-4) kompensiert werden. Dies steht im Widerspruch zum ICES-Ansatz, den maximalen nachhaltigen Dauerertrag aller Flusspopulationen zu erreichen. Der neue Ansatz berücksichtigt nun jede einzelne Flusspopulation unabhängig. Ein großer Teil der Meeresfischerei auf Lachs (Berufs- und Freizeitfischerei) in der Ostsee wird in Gebieten betrieben, in denen sich die Populationen vermischen. Dies stellt eine besondere Herausforderung dar, denn wenn die Fischerei Fische aus schwachen Wildpopulationen fängt, sollten solche Fischereien so weit wie möglich reduziert werden. Ein neues wissenschaftliches Gutachten des ICES aus dem Jahre 2020 hat nun gezeigt, dass insbesondere die Befischung der Lachse in ihren Fressgebieten in der südlichen und zentralen Ostsee dazu führen kann, dass sich die Situation der schwachen Populationen in AU5 nicht verbessert (ICES, 2020). Davon betroffen ist insbesondere die Berufs- und Schleppangelfischerei auf der offenen Ostsee, da sich hier Lachse aus allen AUs vermischen. Dies führt zur Empfehlung der Schließung aller Fischereien in der südlichen und zentralen Ostsee, die potenziell Lachse aus Flüssen mit schwachen Populationen fangen könnten.

Laut der wissenschaftlichen Fangempfehlung des ICES könnte eine Ausnahme von dem generellen Fangverbot für die küstennahe Fischerei in der Ålandsee und dem Bottnischen Meerbusen (ICES Untergebiete 29N (nördlich von 59°30’N), 30 und 31) während der Zeit der Laichwanderungen (Anfang Mai bis Ende August) gelten, da hier genetische Untersuchungen gezeigt haben, dass in diesem Gebiet und diesem Zeitraum keine Lachse aus den AUs 4 und 5 gefangen werden. Die vom ICES für diese Ausnahme maximal empfohlene Fangmenge beträgt 75.000 Lachse für 2022.

Für den Finnischen Meerbusen, für den eine getrennte Fangmenge festgesetzt wird, empfiehlt der ICES eine Entnahme von 10.100 Tieren im Jahr 2022.

Wie bewertet das Thünen-Institut für Ostseefischerei diese Empfehlung?

Grundsätzlich ist es richtig und wichtig, alle Populationen des Ostseelachses zu schützen, um die genetische Vielfalt zu erhalten. Gerade die Populationen der südlichen Ostsee könnten wichtige genetische Merkmale besitzen, die in Zukunft z.B. im Hinblick auf Anpassungen an den Klimawandel von großer Bedeutung sein können. Das Thünen-Institut trägt die ICES-Empfehlung daher grundsätzlich mit.

Die Empfehlung weicht aber gleichzeitig stark von denen der Vorjahre ab, ohne dass sich der Zustand der Populationen verschlechtert hat. Gründe hierfür sind die veränderte Betrachtungsweise und die neuen Bewirtschaftungsziele des ICES, welche den Erhalt jeder einzelnen Lachspopulation und daher Maßnahmen zum Schutz insbesondere schwacher Lachspopulationen beinhalten. Selbstverständlich benötigen schwache Populationen längerfristige, bestandsbezogene Wiederaufbaumaßnahmen, einschließlich Beschränkungen der fischereilichen Entnahme, aber eben auch die Wiederherstellung von Lebensräumen und/oder die Beseitigung von Querverbauungen. Die Umsetzung letztgenannter Maßnahmen obliegt jedoch der Verantwortung einzelner Nationalstaaten und sind nicht Teil der Gemeinsamen Europäischen Fischereipolitik (GFP).

Der Vorschlag einer vollständigen Einstellung der Fischerei ist ein drastischer Schritt mit erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen. In Deutschland hat der Ostseelachs und die damit verbundene Angelfischerei insbesondere für die Insel Rügen eine große touristische und wirtschaftliche Bedeutung. Unsere seit 2016 regelmäßig durchgeführte Datenerhebung zeigt, dass jährlich ca. 5.200-5.500 Lachsschleppangelausfahrten im Bereich der Rügener Ostseegewässer stattfinden und dabei 4.500-5.500 Lachse entnommen werden (Weltersbach et al., 2021). Dabei reisen die Lachsangler aus ganz Deutschland und auch aus dem Ausland an (Lewin et al., 2021; Abb. 5).

Im Durchschnitt gibt jeder Lachsangler rund 2.750 € pro Jahr für das Lachsangeln in Deutschland aus. Daraus ergeben sich Gesamtausgaben von jährlich schätzungsweise rund 5 Millionen Euro für das Lachsangeln in der Region, was Ausgaben von etwa 1.000 Euro je entnommenem Lachs entspricht.

Dieser erhebliche Wirtschaftsfaktor ist durch ein komplettes Fangverbot bedroht, und ein Fangverbot für 2022 käme für viele Betriebe so überraschend, dass kaum genügend Zeit wäre, sich auf die neue Situation einzustellen. Außerdem zeigen die Bestandsprognosen, dass es selbst bei Einstellung der Berufs- und Freizeitfischerei mehrere Lachsgenerationen dauern würde, bis sich die schwachen Lachspopulationen in AU 5 erholt haben. Bei einzelnen Flüssen ist unklar, ob dies überhaupt jemals passieren wird, wenn sich die Umwelt- bzw. Lebensraumbedingungen nicht verbessern.

Wir haben daher versucht, eine Option zu finden, wie die schwachen Lachspopulationen der südlichen Ostsee bestmöglich geschützt werden können und gleichzeitig weiterhin eine Angelfischerei auf Lachs auch in der südlichen und zentralen Ostsee möglich wäre.

Aus unserer Sicht besteht ein sinnvoller Ansatz darin, die Entnahme von Lachsen auf Fische ohne Fettflosse (Besatzfische) zu begrenzen, um die Wildfische der bedrohten Populationen zu schützen. In Schweden existiert solch eine Regelung bereits seit 2013. Unsere Daten zeigen, dass etwa ein Drittel der um Rügen gefangenen Lachse keine Fettflosse besitzt und somit als Jungfisch besetzt wurde. Leider gibt es bisher keine Studie zur Überlebensrate von Ostseelachsen, die in der Schleppangelfischerei gefangen und zurückgesetzt wurden. Basierend auf Literaturwerten von Pazifischen Lachsen, die beim Schleppangeln gefangen und zurückgesetzt wurden, wird daher für die Bestandsberechnung des ICES eine Rückwurfsterblichkeit von 25 % angenommen (ICES, 2017). Eine entsprechende Studie unter heimischen Bedingungen mit Ostseelachsen ist daher dringend nötig, um diese Annahme zu prüfen.

Trotzdem setzen wir uns aktuell dafür ein, dass diese Möglichkeit explizit an die Politik kommuniziert wird, um einen Weg für eine Entscheidung aufzuzeigen, die sowohl die Schutzbedürftigkeit der schwachen Lachspopulationen als auch die große sozioökonomische Bedeutung der Lachsangelei berücksichtigt.

Wie läuft der weitere Entscheidungsprozess ab?

Die am 15.09.2021 veröffentlichte wissenschaftliche Fangempfehlung für den Ostseelachs ist zunächst ein Vorschlag des ICES. Sie richtet sich nach den aktuell besten verfügbaren Daten und soll gewährleisten, dass die Ostseelachsbestände langfristig nachhaltig bewirtschaftet werden.

Dieser Vorschlag wird nun von der Europäischen Kommission gesichtet und nach Anhörung aller interessierten Kreise (also vor allem (Angel-)Fischereivertreter und Umweltverbände) wird ein Vorschlag für ein Regelwerk erarbeitet, das die Fangmöglichkeiten für das nächste Jahr beinhaltet. Auch bis zu dieser Stufe sind die Fangempfehlungen noch ein Vorschlag.

Am 11. und 12. Oktober tagt dann der EU-Ministerrat (Deutschland ist dort vertreten durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) in Luxemburg und entscheidet letztendlich über die Fangmöglichkeiten in der Ostsee.

Ansprechpartner

Dr. Simon Weltersbach
Thünen-Institut für Ostseefischerei
Alter Hafen Süd 2
18069 Rostock
Tel: +49 381 66099-128
Fax: +49 381 66099-199
E-Mail: simon.weltersbach@thuenen.de

Quellen

ICES (2017). Report of the Baltic Salmon and Trout Assessment Working Group (WGBAST), 27 March– 4 April 2017, Gdańsk, Poland. ICES CM 2017/ACOM:10. 298 pp

ICES (2020). EU request on evaluation of a draft multiannual plan for the Baltic salmon stock and the fisheries exploiting the stock. In Report of the ICES Advisory Committee, 2020. ICES Advice 2020, sr.2020.02, doi.org/10.17895/ices.advice.6008.


ICES (2021a). Baltic Salmon and Trout Assessment Working Group (WGBAST). ICES Scientific Reports. 3:26. 329 pp. doi.org/10.17895/ices.pub.7925


ICES (2021b). ICES. 2021. Salmon (Salmo salar) in subdivisions 22–31 (Baltic Sea, excluding the Gulf of Finland). In Report of the ICES Advisory Committee, 2021. ICES Advice 2021, sal.27.22–31, doi.org/10.17895/ices.advice.7848


Lewin, W.-C., Weltersbach, M.S., Haase, K., Strehlow, H.V. (2021). Who travels how far: German Baltic sea anglers‘ travel distances as precondition for fisheries management and coastal spatial planning. Ocean Coastal Manag 209:105640, DOI:10.1016/j.ocecoaman.2021.105640

Weltersbach, M.S., Riepe, C., Lewin, W.-.C, Strehlow, H.V. (2021). Ökologische, soziale und ökonomische Dimensionen des Meeresangelns in Deutschland. Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 254 p, Thünen Rep 83, DOI:10.3220/REP1611578297000. www.thuenen.de/media/publikationen/thuenen-report/Thuenen_Report_83.pdf

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