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Institut für

OF Ostseefischerei

Dorsch der westlichen Ostsee: Nachwuchsproduktion bleibt extrem variabel

Die Nachwuchsproduktion, und damit die Anzahl an Jungfischen die jedes Jahr neu in die Fischerei eintritt, bestimmt die Produktivität eines Fischbestandes und ist einer der zentralen Faktoren, der die Fangmengen beeinflusst. Allerdings ist die Nachwuchsproduktion bei vielen Fischbeständen schwierig vorherzusagen.

Die Anzahl an Jungfischen, die das erste Lebensjahr überleben, kann auch zwischen zwei aufeinanderfolgenden Jahren sehr unterschiedlich sein. Die Gründe für die Variabilität sind oft komplex. Zu den bekannten Faktoren, die die Überlebenschancen der frühen Jugendstadien von Dorschen beeinflussen, zählen Schwankungen in der Wassertemperatur, Einflüsse von Wind und Strömungen, die Verfügbarkeit von Nahrung oder Konkurrenz um Habitate und Nahrung, die die Jugendstadien während dieser sensiblen Lebensphase erfahren, aber auch Kannibalismus und Wegfraß durch Räuber. Die Vielfalt möglicher Faktoren wird meist nur im Rahmen spezieller Forschungsprogramme gezielt untersucht, nicht aber als Teil der regelmäßigen jährlichen Fischerei-Datenerhebungen.

Da die Sterblichkeit der Fische in dieser frühen Jugendphase auch am größten ist, ist es effizienter und damit sinnvoller, den Dorschnachwuchs erst zu zählen, wenn er ein paar Monate alt ist und die verbliebenen Tiere eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit haben. Beim Dorsch der westlichen Ostsee sind dies die Überlebenden im ersten Herbst, die sogenannten Null-Jährigen: Sie sind im Frühjahr in den tieferen Bereichen der westlichen Ostsee aus den Eiern geschlüpft und haben per Definition erst am Jahreswechsel alle zur gleichen Zeit ihren ersten Geburtstag und werden dann als Einjährige eingestuft.


Woher wissen die Wissenschaftler wie stark ein Jahrgang ist?

Beim Dorschbestand der westlichen Ostsee stehen der Wissenschaft verschiedene Datenserien für die Bestimmung der Jahrgangsstärke zur Verfügung: Die längste Zeitserie wird aus den Standard-Schleppnetzfängen des Baltic International Trawl Surveys (BITS) im Februar und November eines jeden Jahres ermittelt. Die westliche Ostsee wird dabei durch die Forschungsschiffe Deutschlands und Dänemarks abgedeckt. Diese Daten aus dem Vorjahr fließen jeweils im April in die Bestandsberechnung des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) ein, auf deren Basis Ende Mai die Bewirtschaftungsempfehlungen für das jeweils folgende Jahr veröffentlicht werden: Z. B. werden alle Daten aus 2017 Anfang 2018 verarbeitet, um Fangempfehlungen für 2019 abzugeben. Leider erfasst der BITS nur die Meeresgebiete tiefer als 15 m, weil Schleppnetzfänge in noch flacherem Wasser nur schwer durchführbar sind.


Das Thünen-Institut für Ostseefischerei beprobt daher seit 2013 zusätzlich die untermaßigen Dorsche (kleiner 35 cm Gesamtlänge) in den letzten noch kommerziell betriebenen Bundgarnreusen bei Burgstaaken auf Fehmarn. In diesen Netzen - feststehende Großreusen in Strandnähe mit Hauptzielart Aal und Dorsch - bleiben die gefangenen Tiere unverletzt und unerwünschter Beifang kann schonend zurückgesetzt werden. Regelmäßig entnehmen die Fischer Proben, und die Gehörsteine (Otolithen) der Jungdorsche werden entnommen, um das Alter der Fische zu bestimmen. So ist in den letzten Jahren eine belastbare und von der Forschungsfischerei (BITS) unabhängige Zeitreihe für die Bestimmung der Dorsch-Nachwuchsproduktion in der Beltsee (Gebiet 22) entstanden (Abbildung 1).


Wie stark waren die Dorsch-Jahrgänge 2015, 2016 und 2017?

Die Datenreihen aus der Bundgarnfischerei und dem BITS zeigen übereinstimmend starke Unterschiede in der Stärke der letzten drei Dorsch-Jahrgänge.


Jahrgang 2015: Die Anzahl kleiner Dorsche (<20 cm Länge) in der westlichen Ostsee im Jahr 2015 war extrem niedrig. Die Daten aus dem folgenden Jahr bestätigten die Schwäche dieses Jahrgangs erneut, es gab praktisch keine Dorsche >25-35 cm in den Bundgarnen in 2016. Mittlerweile wissen wir, dass dies der bis dahin schwächste Jahrgang der Zeitserie war.


Die Ursache für den sehr schwachen Jahrgang 2015 ist nach wie vor nicht bekannt. Es gibt eine Reihe von Hypothesen – vor allem aber dürfte die jahrelange Überfischung des westlichen Dorschbestandes eine wesentliche Rolle gespielt haben. Seit über 20 Jahren ist die Anzahl der Elterntiere (ausgedrückt als Laicherbiomasse) des Bestandes so klein, dass die Wahrscheinlichkeit für eine nachlassende Nachwuchsproduktion steigt. Dass dies 2015 erst nach so langer Zeit tatsächlich passiert ist, ist reines Glück, hat aber wahrscheinlich auch den Eindruck erweckt, dass der Bestand den sehr hohen Fischereidruck über längere Zeit ertragen kann. Die Politik hat aus der Erkenntnis, dass der Bestand kollabierte, schnell die richtigen Konsequenzen gezogen und Maßnahmen für die Reduzierung des Fischereidrucks im Jahr 2017 ergriffen - durch eine drastische Reduzierung der Fangmengen der Berufsfischerei und durch die Beteiligung der Freizeitfischerei an der Erholung im Rahmen von restriktiven Tagesfangmengenbegrenzungen.


Jahrgang 2016: Spätestens seit Herbst 2016 war bekannt, dass die Nutzer dieses Dorschbestandes ein weiteres Mal großes Glück gehabt haben: Der Jahrgang 2016 erschien als der stärkste der letzten 20 Jahre, obwohl er nur von einer sehr kleinen Laicherbiomasse erzeugt wurde. In 2016 konnte man die Jungtiere dieses rekordstarken Jahrgangs phasenweise sogar in den Boddengewässern finden. Mögliche Gründe für diesen sehr starken Jahrgang sind weiter unten ausgeführt. Wie oft bei so starken Jahrgängen ist ein Teil der Population langsamer als gewöhnlich gewachsen, vermutlich durch hohe Nahrungskonkurrenz.


Jahrgang 2017: Im „Schatten“ dieses sehr starken 2016er Jahrgangs sind dann im Frühjahr 2017 wieder nur sehr wenige Dorsche geschlüpft, so dass der Jahrgang 2017 sogar noch schwächer ausfiel als der schwache Jahrgang 2015. Die Abfolge der drei Jahrgänge 2015, 2016, 2017 lässt sich also kurz mit „schwach – stark – schwach“ zusammenfassen.


Eine Ursache für den sehr schwachen 2017er Jahrgang war sicherlich der immer noch sehr geringe Elternbestand im Frühjahr 2017. Zusätzlich spielte möglicherweise Futtermangel eine Rolle. Die Hauptnahrung der ganz kleinen Dorsche sind kleine Krebstiere (z. B. Cumacea). Da 2016 so viele kleine Dorsche geschlüpft waren und auch im Frühjahr 2017 noch relativ klein waren (Abbildung 1), ist es wahrscheinlich, dass sie über die Wintermonate und dann auch im Frühjahr die Wirbellosen-Fauna so stark ausgedünnt hatten, dass für den 2017er Jahrgang nicht viel übrig blieb. Es ist bei Fischbeständen nicht ungewöhnlich, dass im Schatten eines sehr starken Jahrgangs der Folgejahrgang eher schlecht ausfällt.


Reicht nicht die Längenmessung, um auf das Alter der Dorsche rückschließen zu können?

Natürlich kommen auch Tiere eines sehr schwachen Jahrgangs in den Fängen vor, gelegentlich auch in Konzentrationen, die den Anschein erwecken, dass es doch viel mehr davon geben müsste, als die Wissenschaft angibt. Beobachtungen aus Längenverteilungen liefern wichtige Hinweise (wie in Abbildung 1 erkennbar), sind aber nicht eindeutig. Man benötigt möglichst lange und statistisch valide, also systematisch erhobene Datenserien, und zusätzlich muss das Alter der Tiere bestimmt werden. Die Länge allein reicht als Indikator für die Zugehörigkeit zu einem Jahrgang leider nicht aus.


Abbildung 2 zeigt, warum eine korrekte Altersbestimmung für die Fischereiwissenschaftler so wichtig ist. Die Gehörsteine jedes Dorsches wurden präpariert, geschnitten und ihr Alter bestimmt. Man erkennt leicht die Vorherrschaft des 2016er Jahrgang in den Forschungsfängen im Herbst 2017 (als 1-jährige) und Frühjahr 2018 (als 2-jährige Dorsche). Der starke 2016er Jahrgang deckte ein sehr breites Längenspektrum ab.


Man könnte denken, dass doch unter den kleineren Dorschen am linken Rand der Längenverteilung viele Dorsche aus 2017 sein müssten. Die Dünnschnitte durch die Otolithen zeigen jedoch, dass praktisch alle Dorsche zwischen 20 und 50 cm im Frühjahr 2018 2-jährig waren. Die Otolithen aller untersuchten Dorsche hatten zwei helle Ringe; das heißt, jeder Dorsch hat bereits zwei Sommer erlebt – den Sommer 2016 und den Sommer 2017 (Abbildung 3). In der gesamten Probe aus der Frühjahrsreise befand sich nur ein 1-jähriger Dorsch aus 2017, erkennbar an nur einem Sommerring (Abbildung 4).

Abbildung 3 Dünnschnitte durch den Kern von Gehörsteinen (Otolithen) von Dorschen aus der westlichen Ostsee (SD 22), gefangen im Februar 2018. Alle Dorsche (19, 25, 35 und 55 cm Länge) zeigen zwei helle Ringe, die zwei Sommern entsprechen (Sommer 2016, Sommer 2017). Entsprechend waren all diese Dorsche im Frühjahr 2018 zweijährig. Länge des Referenzbalkens unten rechts: 0,5 cm.

Abbildung 4 Dünnschnitt durch den Kern des Gehörsteins eines der wenigen, in 2017 geborenen Dorsche. Gesamtlänge: 17 cm, ebenfalls gefangen im Februar 2018 in SD 22 (ein 1-jähriger Dorsch). Nur ein heller Ring ist erkennbar, das Tier hat also erst einen Sommer erlebt, den Sommer 2017. Länge des Referenzbalkens unten rechts: 0,5 cm.


Welche Rolle kann eine Laichschonzeit spielen?

Wissenschaftlich besonders interessant ist, dass der starke Jahrgang 2016 ausgerechnet in dem Jahr erzeugt wurde, in dem sich die Laichschonzeit zum ersten Mal an der zeitlich richtigen Stelle befand, nämlich im Februar/März, und ausreichend lang war. Dies kann einfach Zufall gewesen sein, aber es gibt gute Gründe für eine Laichschonzeit bei Dorschen. Ziel einer Laichschonzeit ist dabei nicht etwa die zusätzliche Verringerung der fischereilichen Sterblichkeit, also der Entnahme von Fischen, sondern die Vermeidung der Störung laichender Dorsche (Abbildung 5).

Untersuchungen am Kabeljau (Kabeljau und Dorsch sind die gleiche Fischart, nur der Name ist regional verschieden) vor der amerikanischen Ostküste und in Norwegen zeigen, dass die Elterntiere auch über mehrere Jahre immer wieder an die gleichen Laichplätze zurückkehren, die Tiere zeigen also Laichplatztreue (Zemeckis et al. 2014). An „ihrem“ Laichplatz zeigen sie ein komplexes und stark ritualisiertes Laichverhalten. Männchen und Weibchen sind tagsüber voneinander getrennt und treffen sich nachts zur Paarung (Dean et al. 2012). Grunzlaute, die über die Schwimmblase verstärkt werden, das Schwimmverhalten und Duftstoffe spielen dann bei Paarung eine wichtige Rolle. Die amerikanischen Kollegen konnten an akustisch markierten Dorschen zeigten, dass die Tiere während der Laichzeit sehr empfindlich gegenüber Störungen sind. So verließen akustisch markierte Elterntiere ihre Laichplätze, nachdem sie dort durch Stellnetzfischerei gestört wurden (Dean et al. 2014). Dies kann dann die Partnerwahl, Eiablage und Befruchtung der Eier negativ beeinflussen. Laichschonzeiten können daher einen wichtigen Beitrag zur Erholung überfischter Dorschbestände leisten. Es geht beim Management von Dorschbeständen also nicht nur darum, die Entnahmemenge über Quoten zu regulieren (Quantität), sondern auch darum sicherzustellen, dass die Elterntiere in Ruhe an den einschlägigen Laichplätzen aktiv sein können (Qualität).

Ob die Schonzeit in der westlichen Ostsee einen entscheidenden Einfluss auf die Nachwuchsproduktion hat, lässt sich natürlich nach nur zwei Jahren, an denen die Laichschonzeit endlich auch die wichtigste Laichzeit abdeckt, nicht sagen. Dabei ist der historische schwache Jahrgang 2017 sicher kein Beweis, dass die Schonzeit nicht funktioniert. Denn, wie oben dargelegt, ist der schwache 2017er Jahrgang eher das negative Echo des starken 2016er Jahrgangs und der geringen Anzahl an Elterntieren. Es dürfte sich also lohnen, die jetzige Schonzeit für einige Jahre fortzuschreiben, um den Effekt fundiert beurteilen zu können. Im Idealfall führt die Laichschonzeit dazu, dass die aktiven Laichplätze verstärkt genutzt und derzeit durch die langjährige Überfischung inaktive Laichplätze wiederbesiedelt werden und dann auch wieder zur Nachwuchsproduktion beitragen können. Dies sollte im Endergebnis dazu führen, dass sich die Nachwuchsproduktion langfristig auf einem höheren Niveau einpendelt, mit entsprechend positiven und stabilisierenden Auswirkungen auf die Fänge der kommerziellen und der Freizeitfischerei.


Literatur

Dean et al. 2014. Fine-scale diel and gender-based patterns in behaviour of Atlantic cod (Gadus morhua) on a spawning ground in the western Gulf of Maine. ICES Journal of Marine Science, doi:10.1093/ icesjms/fsu040.

Dean et al. 2012. Disruption of an Atlantic Cod Spawning Aggregation Resulting from the Opening of a Directed Gill-Net Fishery, North American Journal of Fisheries Management, 32:1, 124-134, DOI:10.1080/02755947.2012.663457

Zemeckis et al. 2016. Spawning site fidelity by Atlantic cod (Gadus morhua) in the Gulf of Maine: implications for population structure and rebuilding. ICES Journal of Marine Science, doi: 10.1093/icesjms/fsu117.

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