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Dossier

Meeresraumnutzung

Vanessa Stelzenmüller | 27.06.2022


SF Institut für Seefischerei

Erneuerbare Energie auf dem Meer ist ein wichtiger Baustein zur Erreichung der Klimaziele, führt aber unweigerlich zur starken Raumknappheit für andere Nutzungen wie der Fischerei, denn diese Nutzungen gelten bisher als nicht vereinbar.

Es wird eng auf den Meeren …

Der massive Ausbau von Offshore-Windkraft führt in Zukunft zu einem noch nie dagewesenen Wandel der Meeresraumnutzung in Nord- und Ostsee. Allein die deutsche maritime Raumordnung weist künftig fast 20 % der Fläche der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee für die Nutzung durch Windkraft aus - und die im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung angepeilten, ambitionierteren Ausbauziele sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Aktuell sind auf ca. 2,6 % der Fläche der deutschen AWZ Windkraftanlagen installiert. Weitere 28 % der Fläche sind als Meeresschutzgebiete ausgewiesen, in welchen allerdings in weiten Teilen andere Nutzungen bisher nicht reguliert sind. Das in 2021 eingeführte Fischereivorranggebiet für den Kaisergranat (Nephrops norvegicus), auch bekannt als Norwegischer Hummer, nimmt ca. 2,15 % der Fläche ein (siehe Abbildung).

… aber es gibt Lösungen …

Den absehbaren Flächenverlusten für Fischereiaktivitäten kann man künftig jedoch mit innovativen und integrativen Raumnutzungskonzepten begegnen. So könnte die Co-Nutzung von Offshore-Windkraftanlagen und Fischerei mit passivem und selektivem Fanggerät in ökologisch geeigneten Regionen ein passendes Konzept sein. Wie Energiegewinnung, Fischerei und Naturschutz auf hoher See zusammengedacht werden können, haben wir in einem anschaulichen Thünen à la carte „Offshore-Windparks: Chance für Fischerei und Naturschutz“ dargestellt.

So siedelt sich der Taschenkrebs (Cancer pagurus), eine bisher wenig genutzte, aber attraktive Fischereiressource, vermehrt an und um den steinigen Kolkschutz der Fundamente an. Das konnten wir in einer Pilotstudie zeigen, und einen Einblick in unsere Arbeit auf See im Rahmen dieses Projektes bekommt man hier. Erste Berechnungen zeigten, dass die Taschenkrebsfischerei in der Nähe der Anlagen in den Sommermonaten eine rentable Alternative sein kann. Allerdings sind für belastbare Prognosen zur Wirtschaftlichkeit noch weitreichendere Informationen zur Populationsdynamik von Taschenkrebsen und zur tatsächlichen Durchführbarkeit solch einer Fischerei in der unmittelbaren Nähe der Anlagen nötig. Die finale Umsetzung solcher Konzepte in der Zukunft erfordert eine vertrauensvolle und transparente Zusammenarbeit von Windkraftindustrie, Fischerei, Raumplanungsbehörde, Naturschutz und Wissenschaft.
 

… und noch viel zu erforschen

Die Um- und Neuverteilung von Meeresraumnutzungen hat wirtschaftliche und sozio-kulturelle Konsequenzen für die Fischerei durch den Verlust von Fischereigebieten, und sie wirkt sich auch auf das marine Ökosystem und seine Funktionen aus. So erforschen wir neben dem Taschenkrebs als neue Fischereiressource auch die direkten Effekte der Windkraftanlagen auf die Aggregation von Fischen wie z.B. Kabeljau. Hier zeigen bisher noch unveröffentlichte Ergebnisse ein vermehrtes Vorkommen von Fischen an Steinschüttungen. In der Zukunft wollen wir vor allem ein besseres Verständnis dieser Zusammenhänge und der damit einhergehenden ökologische Veränderungen erlangen.

Insgesamt zeigen unsere bisherigen Ergebnisse, dass die Bewertung künftiger Raumnutzungskonzepte einer umfassenden, ganzheitlichen (ökologisch und ökonomisch) sowie auch einer kleinräumigen Betrachtung bedarf. So stehen auch die Entwicklung von ganzheitlichen Bewertungen der Kosten, Nutzen und Risiken von künftigen räumlichen Nutzungskonzepten im Zentrum unserer Arbeit. Hierzu gehört u.a. die Bewertung der kumulativen Belastungen durch menschliche Aktivitäten und Klimawandel auf die bodennahe Fisch- und Benthosgemeinschaft.

Expertise

Offshore-Windpark als Kabeljau-Refugium

Eine Pilotstudie mit neuem Monitoring-Ansatz in der Deutschen Bucht bestätigt die ökologische Bedeutung von Offshore-Windparks als Rückzugsort und Nahrungsquelle mariner Lebewesen: Steinaufschüttungen am Fuß von Windkraftanlagen wirken sich durch einen „künstlichen Riffeffekt“ positiv auf zum Teil am Boden lebende Arten wie den Kabeljau aus. Könnten manche Offshore-Windparks demnächst neben der energetischen Relevanz auch eine solche als Schutzraum erhalten?

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Offshore-Windpark als Kabeljau-Refugium

Podcast

Folge 2: Ist da noch ein Platz frei?

In Nord- und Ostsee wird um jeden Quadratmeter gerungen: Traditionelle Nutzer*innen wie die Fischerei konkurrieren zunehmend mit Windpark-Betreibern, Reedern, Rohstoffproduzenten, dem Militär, Umwelt- und Naturschutz um den knappen Meeresraum. Mit dem Argument der notwendigen Energiewende setzen sich die Offshore-Energieerzeuger derzeit gegen viele andere Interessen durch. Wie könnte eine friedliche Co-Existenz aller Interessengruppen aussehen?

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Folge 2: Ist da noch ein Platz frei?

Publikationen

  1. 0

    Stelzenmüller V, Letschert J, Gimpel A, Kraan C, Probst WN, Degraer S, Döring R (2022) From plate to plug: The impact of offshore renewables on European fisheries and the role of marine spatial planning. Renewable Sustainable Energy Rev 158:112108, DOI:10.1016/j.rser.2022.112108

  2. 1

    Gissi E, Manea E, Mazaris AD, Fraschetti S, Almpanidou V, Bevilacqua S, Coll M, Guarnieri G, Lloret-Lloret E, Pascual M, Petza D, Rilov G, Schonwald M, Stelzenmüller V, Katsanevakis S (2021) A review of the combined effects of climate change and other local human stressors on the marine environment. Sci Total Environ 755(Part 1):142564, DOI:10.1016/j.scitotenv.2020.142564

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn062768.pdf

  3. 2

    Stelzenmüller V, Cormier R, Gee K, Shucksmith R, Gubbins M, Yates KL, Morf A, Nic Aonghusa C, Mikkelsen E, Tweddle JF, Peccu E, Kannen A, Clarke SA (2021) Evaluation of marine spatial planning requires fit for purpose monitoring strategies. J Environ Manag 278(Part 2):111545, DOI:10.1016/j.jenvman.2020.111545

  4. 3

    Schupp MF, Kafas A, Buck BH, Krause G, Onyango V, Stelzenmüller V, Davies IM, Scott BE (2021) Fishing within offshore wind farms in the North Sea: Stakeholder perspectives for multi-use from Scotland and Germany. J Environ Manag 279:111762, DOI:10.1016/j.jenvman.2020.111762

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn063137.pdf

  5. 4

    Probst WN, Stelzenmüller V, Rambo H, Moriarty M, Greenstreet SPR (2021) Identifying core areas for mobile species in space and time: A case study of the demersal fish community in the North Sea. Biol Conserv 254:108946, DOI:10.1016/j.biocon.2020.108946

  6. 5

    Stelzenmüller V, Gimpel A, Haslob H, Letschert J, Berkenhagen J, Brüning S (2021) Sustainable co-location solutions for offshore wind farms and fisheries need to account for socio-ecological trade-offs. Sci Total Environ 776:145918, DOI:10.1016/j.scitotenv.2021.145918

  7. 6

    Letschert J, Stollberg N, Rambo H, Kempf A, Berkenhagen J, Stelzenmüller V (2021) The uncertain future of the Norway lobster fisheries in the North Sea calls for new management strategies. ICES J Mar Sci 78(10):3639-3649, DOI:10.1093/icesjms/fsab204

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn064299.pdf

  8. 7

    Stelzenmüller V, Coll M, Cormier R, Mazaris AD, Pascual M, Loiseau C, Claudet J, Katsanevakis S, Gissi E, Evagelopoulos A, Rumes B, Degraer S, Ojaveer H, Moller T, Giménez J, Piroddi C, Markantonatou V, Dimitriadis C (2020) Operationalizing risk-based cumulative effect assessments in the marine environment. Sci Total Environ 724:138118, DOI:10.1016/j.scitotenv.2020.138118

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn062194.pdf

  9. 8

    Katsanevakis S, Coll M, Fraschetti S, Giakoumi S, Goldsborough D, Macic V, Mackelworth P, Rilov G, Stelzenmüller V, Albano PG, Bates AE, Bevilacqua S, Gissi E, Hermoso V, Mazaris AD, Pita C, Rossi V, Teff-Seker Y, Yates KL (2020) Twelve recommendations for advancing marine conservation in European and contiguous seas. Front Mar Sci 7:565968, DOI:10.3389/fmars.2020.565968

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn062769.pdf

  10. 9

    Degraer S, van Lancker V, Dijk TAGP van, Birchenough SNR, Witte B de, Elliott M, le Bot S, Reiss H, Stelzenmüller V, van Gaever S, Balian E, Cox D, Hernandez F, Lacroix G, Lindeboom H, Reubens J, Soetaert K (2019) Interdisciplinary science to support North Sea marine management: lessons learned and future demands. Hydrobiologia 845(1):1-11, DOI:10.1007/s10750-019-04109-9

  11. 10

    Stelzenmüller V, Coll M, Mazaris AD, Giakoumi S, Katsanevakis S, Portman ME, Degen R, Mackelworth P, Gimpel A, Albano PG, Almpanidou V, Claudet J, Essl F, Evagelopoulos T, Heymans JJ, Genov T, Kark S, Micheli F, Pennino MG, Rilov G, et al (2018) A risk-based approach to cumulative effect assessments for marine management. Sci Total Environ 612:1132-1140

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn059093.pdf

  12. 11

    Cormier R, Stelzenmüller V, Creed IF, Igras J, Rambo H, Callies U, Johnson LB (2018) The science-policy interface of risk-based freshwater and marine management systems: From concepts to practical tools. J Environ Manag 226:340-346, DOI:10.1016/j.jenvman.2018.08.053

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