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Praxis für Praktiker

Ziegen artgerecht halten

Gerold Rahmann | 02.06.2022


OL Institut für Ökologischen Landbau

Tiergerechte Haltung von Ziegen scheint für den Ökolandbau selbstverständlich. So einfach und üblich ist sie aber keinesfalls. Ein hohes Maß an Tierschutz und gute Leistungen müssen sich jedoch nicht widersprechen.

Die artgerechte Tierhaltung ist ein Kernanliegen des Ökologischen Landbaus; das gilt nicht nur, aber auch für Ziegen. Ein Ziegenstall muss deshalb so gestaltet sein, dass die Tiere alle Verhaltensweisen ausleben können, gesundheitliche Beeinträchtigungen und Verletzungen vermieden werden und das Versorgen und Nutzen der Tiere wirtschaftlich und einfach ist. Das ist in der Praxis nicht leicht. Die Unterbringung der Ziegen am Thünen-Institut für Ökologischen Landbau haben wir so konzipiert, dass die Haltung behornter Milchtiere, die muttergebundene Lämmeraufzucht und eine gute Milchproduktion gleichermaßen möglich sind. Unsere Forschungsergebnisse testen wir in on-farm-Kooperationen mit Ziegen haltenden Landwirten, um der Praxis gut umsetzbare Empfehlungen an die Hand zu geben.

In der Praxis werden Ziegen meistens in unstrukturierten Stallungen gehalten. Dabei sind diese aktiven, intelligenten Tiere schnell gelangweilt und es kommt zu Rangkämpfen. Liegenischen eignen sich für die Befriedigung des Kletterbedürfnisses und für einen ruhigen Platz mit Übersicht im Stall. Wir haben untersucht, wie sich Liegenischen einfach im Laufstall integrieren lassen.  

Wichtige Praxistipps:

  • Liegenischen eignen sich für melkende Bestände. Pro 100 Tiere sind 10 Quadratmeter ausreichend.
  • Es sollte zwei Aufgänge geben, damit es keinen Zwang zum Runterspringen gibt, wenn es zu Rangauseinandersetzungen kommt.
  • Die einzelnen Etagen sollten ein Stehen der Tiere nicht ermöglichen (weniger als 90 Zentimeter Höhe), damit dort nicht abgekotet wird.
  • Liegenischen sollten treppenartig gestaltet werden, damit jeder Bereich leicht zugänglich ist. Sie brauchen nicht eingestreut werden.
  • Lämmer sollten einen gesonderten Platz bei den Liegenischen haben (Rehkitzverhalten). 
  • Liegenischen können leicht aus Holz selber gebaut werden, sie sind jedoch vor dem Umsturz zu sichern, müssen sich leicht reinigen lassen und dürfen beim Misten nicht stören.

Auch auf vielen Bio-Milchziegenbetrieben werden die Hornansätze der Lämmer weggebrannt, damit sie als erwachsene Tiere keine Hörner tragen. Die Tierhalter haben Angst vor Verletzungen bei Auseinandersetzungen und befürchten Probleme mit der Stalltechnik (Fresshorden, Melkstand). Wir haben am Thünen-Institut für Ökologischen Landbau Kriterien erarbeitet, die Hörner tragende Herden erlauben. Ein Teil der Studien haben wir gemeinsam mit der Veterinärmedizinischen Fakultät Wien (Prof. Waiblinger) durchgeführt.  

Wichtige Praxistipps:

  • Es ist möglich, behornte Milchziegen ohne große Verletzungsgefahren im Laufstall zu halten. In zehn Jahren hat es nur sehr wenige Verletzungen (Euterstösse, Prellungen) in der Herde gegeben. 
  • Der Stall muss strukturiert (Abtrennungen, Klettermöglichkeiten, Fluchträume) und groß genug sein, damit die Komfortzonen der Tiere gewahrt bleiben. 2,5 Quadratmeter pro Milchziege plus ein Auslauf sind erforderlich.
  • Die Fressplätze müssen mit Stoßblenden versehen sein.
  • Es sollte mehr Fressplätze als Tiere im Stall geben. Raufen im Stall ermöglicht rangniedrigeren Tieren, sich zu verstecken und zu fressen.
  • Die Herden sollen nur selten neu zusammengestellt werden.
  • Der Vorwartebereich sollte rutschfest und eng genug sein, damit keine ernsthaften Auseinandersetzungen stattfinden können.

Ziegen müssen ab einem Alter von neun Monaten mit zwei Erkennungsmarken versehen sein. Eine davon muss elektronisch lesbar sein. Üblicherweise werden dafür Ohrmarken verwendet, die aber leicht herausreißen können und das Ohr verletzen. Wir haben uns mit den Aspekten des Tierschutzes bei elektronischer Tiererkennung und Alternativen zu Ohrmarken befasst:  

  • Ohrmarken müssen mittig im Ohr eingesetzt werden, ohne das dabei Adern verletzt werden.
  • Netz, Gitter und Gehölze können dazu führen, dass Ohrmarken ausgerissen werden.
  • Elektronische Ohrmarken können dafür genutzt werden, dass die Tiere besser kontrolliert und gemanagt werden können.

Üblicherweise werden Lämmer direkt oder wenige Tage nach der Geburt von ihren Müttern getrennt. Das ist ethisch problematisch, da die jungen Tiere dann mutterlos aufwachsen. Die Versorgung der Lämmer muss dann per Tränke aus Eimern oder mit Tränkeautomaten erfolgen – eine große arbeitswirtschaftliche und auch hygiensche Herausforderung.  

Wichtige Praxistipps für die muttergebundene Aufzucht:

  • Lämmer können bis zu 45 Tage bei der Mutter bleiben. Sie trinken dabei rund 70 Liter Milch.
  • Die saugenden Lämmer sind lebendiger und fitter als getränkte Lämmer. Die Verluste sind niedrig bei angemessener Haltungsumwelt.
  • Der Arbeitsaufwand bei muttergebundener Aufzucht ist wesentlich geringer, auch wenn die Einnahmen durch Milch sinken.
  • Aus Sicht des Tierwohls ist die muttergebundene Lämmeraufzucht vorteilhaft. Die ökonomischen Verluste sind durch die Ersparnis an Arbeitskraft vertretbar.  

Ausläufe sind für Wiederkäuer zwar keine Pflicht, wenn im Sommer ein Weidegang angeboten wird. Trotzdem ist es angeraten, Ziegen einen folgendermaßen beschaffenen Auslauf anzubieten:

  • Ausläufe müssen 2,5 Quadratmeter pro erwachsene Ziege und 0,5 Quadratmeter pro Lamm groß sein (das ist mehr als ethologisch erforderlich, aber Pflicht).
  • Die Einzäunung sollte aus vertikalen Elementen bestehen, die keine Gelegenheit zum Hochklettern bieten.
  • Klettermöglichkeiten dürfen nicht zu Verletzungen führen (Verklemmen von Kopf oder Beinen, Verstauchungen, Abschürfungen, Verletzungen durch herausstehende Nägel etc.).
  • Die Ausläufe sollten planbefestigt sein. Beton ist kein Problem, da es sich um Felsenkletterer mit harten Klauen handelt.
  • Ausläufe sollten trocken und grundwasserversiegelt sein. Kot und Urin darf nicht ins Grundwasser gelangen.
  • Ausläufe müssen sich leicht reinigen lassen.  

Die Weidehaltung von Ziegen sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht. Endoparasiten und erhöhter Arbeitsaufwand sind die wichtigsten Gründe, ihnen den Weidegang vorzuenthalten. Auch die Angst vor ausbrechenden Tieren gibt es. Dabei ist die Weidehaltung tiergerecht und Pflicht im Ökolandbau.  

Wichtige Praxistipps:

  • Weidehaltung auch von laktierenden Ziegen ist möglich.
  • Bei gutem Weidemanagement ist die Gefahr einer Verwurmung reduziert.
  • Einzeltiere müssen entwurmt werden, wenn sie leiden.
  • Die Weide muss ziegengerechtes Futter aufweisen. Sie muss abwechslungsreich und für die neugierigen, aktiven Tiere „spannend“ sein.
  • Ziegen lieben Gehölze als Futtergrundlage.
  • Ziegen mögen kein nasses Wetter: Tiergerecht sind deshalb ein Unterstand oder nächtliche Stallhaltung.  

Ziegen lieben das Äsen, also das Fressen von Blättern und frischer Rinde. Dafür klettern und recken sie sich auch gerne. So wird Gehölzfutter am besten angeboten:  

  • Um negative Auswirkungen auf Milchmenge und -qualität zu vermeiden, sollten Laub und Rinde nicht mehr als 25 % der Futtergrundlage umfassen. Am besten sind 10 %.
  • Es sollten dornfreie und schmackhafte Gehölze angebaut werden, die ein Beäsung ertragen. Dazu gehören vor allem die Weidenarten, aber auch Haselnuss, Eschen, Hainbuchen.
  • Giftgehölze müssen vermieden werden.
  • Gehölze müssen für die Ziegen leicht zugänglich sein, um Verletzungen beim Versuch sie zu erlangen zu vermeiden.
  • Gehölze sollten in Einerreihen angepflanzt werden.
  • Eine erste Beäsung ist nach fünf bis sechs Jahren möglich, danach alle drei Jahre.
  • Ästige Gehölze sollten zur Nachäsung abgesägt und im Winter auf den Stock gesetzt werden. 
  • Eine Laubernte ist zu arbeitsaufwendig.
  • Im Winter können Nadelgehölze im Stall gefüttert werden.

Die übliche Weidehaltung erfolgt mit mobilen Elektronetzen. Diese stellen ein Hindernis für wilde Tiere und auch behornte Ziegen dar.  

Wichtige Ergebnisse:

  • Es ist möglich, die Weiden mit Litzen einzuzäunen.
  • Ziegen springen nicht über Litzenzäune, sondern steigen oder klettern hindurch.
  • Es sind drei bis vier Litzen mit 4000 bis 6000 Volt Hütespannung und maximal 5 Joule Impulsenergie notwendig.
  • Der Grasbewuchs entlang des Zaunes muss kurz gehalten werden.
  • Litzenzäune müssen von den Tieren akzeptiert und der Umgang mit ihnen deswegen erlernt werden (Prägung). Diese Prägung erfolgt im Lammalter (kontrollierte Übung am Geflügelnetz).
  • Wird ein Zaun von einem erwachsenen Tier nicht mehr akzeptiert, ist dieses aus der Herde zu entfernen (es bringt den anderen Tieren das Fehlverhalten bei).
  • Gutes und ausreichendes Futter ist der beste Zaun.
  • Hunde müssen vom Eindringen in die Weide abgehalten werden.

Forschungsergebnisse in die Praxis zu integrieren ist immer schwierig. Häufig mangelt es bereits an Wissen über die gute fachliche Praxis der Ziegen- und Schafhaltung. Das Praxisbuch „Ökologische Schaf- und Ziegenhaltung – 100 Fragen und Antworten für die Praxis“  von Gerold Rahmann, dem Leiter des Thünen-Instituts für Ökologischen Landbau, beantwortet die wichtigsten Fragen.

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