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Interview

Gleichstellung ernst nehmen

Anja Rath mit Petra Raue (landinform 1.2022)


LV Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen

Petra Raue, Wissenschaftlerin am Thünen-Institut, spricht mit der Zeitschrift „landinform“ über Herausforderungen für die Gleichstellung von Frauen und Männern in ländlichen Räumen – und welchen Beitrag die ländlichen Entwicklungsprogramme leisten können. 

Frau Raue, woran machen Sie fest, dass die Frauen den Männern nicht gleichgestellt sind?
Es gibt es nach wie vor viele Unterschiede, vor allem das Gender-CareGap: Frauen leisten 50 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Und wenn man sich anschaut, wer auf dem Land entscheidet, stellt man fest, dass in Gemeinderäten Frauen in der Regel deutlich unterrepräsentiert sind – je kleiner die Gemeinde, desto weniger Frauen, könnte als Faustformel gelten. Bürgermeisterinnen sind nach wie vor die Ausnahme. Bei LEADER ist es in den Lokalen Aktionsgruppen ähnlich. Auch in der Landwirtschaft gibt es Handlungsbedarf.

Wollen Sie den kurz ansprechen?
In den amtlichen Statistiken finden sich nur wenige Betriebsleiterinnen und Hofnachfolgerinnen. Es gibt Beispiele, dass Frauen es in der Landwirtschaft schwerer haben als Männer, beispielsweise, wenn sie zur Bank gehen und einen Kredit wollen. Oder dass sie gefragt werden: Hast du keinen Bruder, dass du den Hof machst? Erste Ergebnisse der Studie zu Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben, an der Kolleginnen am Thünen-Institut für Betriebswirtschaft arbeiten, zeigen, dass viele Frauen in der Betriebsleitung aktiv sind und finden, dass sie die Betriebe gemeinsam mit ihren Partnern leiten. Aber das ist nicht sichtbar.

Gilt das auch für den Besitz der Höfe?
Ja, die Höfe gehören in der Regel den Männern. Das zeigt die oben erwähnte Studie auch. Und mein Kollege Andreas Tietz hat in einer Studie exemplarisch die Eigentumsverhältnisse bei Landwirtschaftsflächen in 59 Gemeinden untersucht: Nur ein Drittel gehörte Frauen, und Männer besaßen pro Kopf fast doppelt so viel Fläche. Wenn man an die Transformation denkt, die der Landwirtschaft bevorsteht, sind Frauen aus meiner Sicht zentral: Sie sind offener für Umweltaspekte, für Gemeinwohlorientierung und Tierwohl und eher bereit, etwas zu ändern. Das zeigt eine Reihe von Studien.

Wie könnte die Förderpolitik dazu beitragen, die Situation von Frauen in der Landwirtschaft zu ändern?
Zunächst einmal könnte in den Förderprogrammen das sogenannte Gender Mainstreaming ernst genommen werden. Das gilt für die Landwirtschaft und für die ländliche Entwicklung insgesamt. Gender Mainstreaming bedeutet, die Kategorie Gender bei allem, was man tut, konsequent mitzudenken – auf der EU-Ebene ebenso wie bei der Politik von Bund und Ländern. Es gilt, Unterschiede zu analysieren, strukturelle Benachteiligungen abzubauen und gegebenenfalls benachteiligte Personengruppen besonders zu fördern. Dafür muss erst einmal Gender-Kompetenz ins System. Stereotype sollten nicht reproduziert werden. Darauf sollte man insbesondere in der Öffentlichkeitsarbeit achten. Aber auch bei den Fördermaßnahmen im Bildungs- und Beratungsbereich: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Berater und Beraterinnen, die auf landwirtschaftliche Betriebe kommen, eher die Männer ansprechen und Betriebsleiterinnen nicht auf die gleiche Art adressieren wie Betriebsleiter. Dann sollte auch darauf geachtet werden, dass sich von den Förderangeboten Männer und Frauen gleichermaßen angesprochen fühlen.

In Baden-Württemberg gibt es eine Maßnahme zur Förderung von Frauen. Kann sie als Vorbild dienen?
Ja und nein. Das Förderangebot Innovative Maßnahmen für Frauen ist sehr erfolgreich, aber vom Mittelvolumen eher klein. Es verknüpft drei Förderansätze in einem Paket: die investive Förderung für Existenzgründung, Coaching und Beratung sowie Vernetzung. Um die Mittel zu erhalten, müssen die Frauen – anders als bei einer Diversifizierungsförderung – Eigentümerinnen des Betriebszweigs sein. Eine spezielle
Frauenförderung hat einen großen Effekt auf die Sichtbarkeit der Frauen; es gibt spannende Projekte und das motiviert andere, sich zu trauen. Aber der Verwaltungsaufwand für derartige innovative Förderangebote ist erfahrungsgemäß hoch. Eine spezifische Unterstützung für Frauen, um die strukturellen Nachteile zu überwinden, kann auf jeden Fall sinnvoll sein. Ob über den ELER oder anders, ist dabei eine offene Frage.

Gremien, wie die von Lokalen Aktionsgruppen, kurz LAGs, könnten dazu beitragen. Wie werden Frauen dort stärker präsent?
Nordrhein-Westfalen hatte für die ELER-Förderperiode 2014 bis 2020 vorgegeben, dass mindestens ein Drittel des Entscheidungsgremiums einer LAG weiblich sein muss, um als LEADER-Region anerkannt zu werden. In Baden-Württemberg gab es zusätzliche Punkte für mehr Frauen. Der Frauenanteil ist dadurch in beiden Ländern deutlich angestiegen. In den Vorgaben der EU und auch der anderen Länder, die wir evaluieren, steht lediglich, es soll ein angemessener Anteil vertreten sein. Das hilft nicht. Ich bin für eine Frauenquote: Dadurch werden die Regionen dazu gedrängt, nach Frauen Ausschau zu halten – und man denkt über die üblichen Verdächtigen, die schon seit Jahrzehnten in Führungspositionen sind, hinaus. Außerdem fühlen sich Frauen angesprochen, nach dem Motto: Wenn ich gebraucht werde, mache ich das natürlich. Und was die Sitzungskultur angeht, sollte man sich fragen: Wie kompatibel sind Sitzungszeiten und -orte mit Betreuungsausaufgaben, etwa, wenn Frauen für Kleinkinder oder pflegebedürftige Angehörige sorgen? Auch die Gesprächskultur könnte man thematisieren.
 
Sie sprachen von Gender-Kompetenz. Welche Fähigkeiten braucht man dazu?
Gender-Kompetenz beinhaltet einen Dreiklang: Wissen – Können – Wollen. Es geht darum, eine Sensibilität für das Thema und die Handlungserfordernisse zu entwickeln – und eine Bereitschaft, etwas zu tun. In der ländlichen Entwicklung müsste man zuallererst beim Wissen und beim Wollen ansetzen: Wo sind die Schieflagen in der Region oder im Land? Wo gibt es Handlungsbedarf? Welche eigenen Stereotype, Rollenbilder und Erfahrungen sind verinnerlicht und werden entsprechend bedient? Und schließlich sollte man Änderungen in der Praxis umsetzen. Dazu gibt es Leitfäden und Anleitungen.

Wie wichtig finden die Frauen in den Regionen das Thema Gleichstellung?
Das ist, glaube ich, unterschiedlich. Von den Landfrauen weiß ich, dass das Gleichstellungsthema kontrovers diskutiert wird und es sowohl progressive Positionen gibt als auch Frauen, die traditionelle Rollenmodelle gut finden. In Hessen haben einige weibliche Mitglieder des ELER-Begleitausschusses zu Beginn der Förderperiode den „Arbeitskreis Frauen im ländlichen Raum“ gegründet, um sich zu vernetzen und Lobbyarbeit für Frauen zu machen. Sie sind im Begriff, das Netzwerk „Landhessinnen“ zu gründen – sehen also einen deutlichen Handlungsbedarf.

Welche Maßnahmen würden der neuen Förderperiode guttun?
Gender Mainstreaming endlich ernst zu nehmen: eine fundierte Analyse machen und Aufträge, die sich daraus ergeben, strategisch verankern. Im aktuellen Strategieplan zur Gemeinsamen Agrarpolitik in Europa wurde bei der Analyse der Ausgangssituation unter anderem auf Drängen der Landfrauen hin ein Blick auf die Situation der Geschlechter geworfen, aber dann folgt weder etwas auf der Strategieebene noch bei den Maßnahmen. Damit ist das Thema formal hineingeschrieben, mehr aber auch nicht. Dabei wäre vieles vorstellbar, beispielsweise bei LEADER und der Dorfentwicklung vorzugeben, Gender Mainstreaming bei Plänen und Konzepten zu beachten oder dass die begleitenden Planungsbüros Gender-Kompetenz haben müssen.
 
Gibt es noch mehr unerledigte Hausaufgaben?
In der Öffentlichkeitsarbeit könnten Bund und Länder gute Beispiele herausstellen. Es braucht generell eine gendersensible Öffentlichkeitsarbeit. Ich finde, auch die DVS könnte eine größere Rolle spielen und beispielsweise Studien, Leitfäden und Checklisten bündeln. Oder auch Workshops zum Thema anbieten.

Frau Raue, vielen Dank für das Gespräch.

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