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Interview

„… eine gigantische Massenbewegung – und die Hundshaie machen mit“

Anne Sell mit Matthias Schaber (Wissenschaft erleben 2022/2)


SF Institut für Seefischerei

Haie können weite Distanzen überbrücken, aber in ihr artspezifisches Wanderverhalten gab es oft nur punktuelle Einblicke. Für den Hundshai, den größten dauerhaft in deutschen Gewässern vorkommenden Hai, konnten Thünen-Wissenschaftler durch Telemetrie ­Überraschendes herausfinden. Ein Gespräch mit dem Fischereibiologen Matthias Schaber.

Meeresbiologen, die sich mit Walen oder Haien befassen, wird gelegentlich spöttelnd unterstellt, sie seien der „charismatic megafauna“ verfallen. Sind Haie wirklich charismatisch?

Faszinierend sind sie! Es sind große, kräftige Raubtiere an der Spitze der Nahrungskette. Mit lebenden Haien zu arbeiten, das ist schon etwas Besonderes.

Beim Gedanken an Haie assoziiert man nicht unbedingt als erstes die Nordsee. Ein Fehler?

In der Nordsee gibt es tatsächlich über 30 Hai- und Rochenarten. Im deutschen Seegebiet kommen 19 Arten davon vor, darunter sind vier Haie dauerhaft etabliert: Dornhai, Kleingefleckter Katzenhai, der Weißgefleckte Glatthai und der Hundshai.

Für Haie war die Fischerei, auch dort, lange eine wichtige Todesursache – man denke an Produkte wie Schillerlocken oder den sogenannten Seeaal. Nun hat der Fischereiaufwand über die letzten Dekaden in unseren Meeren deutlich abgenommen. Sind Haie hier also überhaupt noch gefährdet?

Unter den Haien der Nordsee ist allein der Dornhai kommerziell interessant. Aber auch die anderen Haiarten waren prinzipiell nie vor dem Fischfang sicher, denn sie landeten häufig unbeabsichtigt in Fischerei­netzen. Global sind viele Haiarten stark bedroht. Es gibt daher Schutzabkommen, die den internationalen Handel einschränken und zur nachhaltigen Nutzung wandernder wildlebender Fischarten beitragen.

Die Wanderung ist hier ein Grund für den Schutz der Tiere?

Tatsächlich macht sie die Tiere empfindlich. Nicht nur, weil sie ihren Weg heil überstehen müssen – auch in den Zielhabitaten brauchen sie passende Lebensbedingungen. Oft kennen wir die Wanderwege noch gar nicht. Dieses Wissen brauchen wir jedoch, um die Lebensräume zu identifizieren, in denen ein Artenschutz am wirksamsten ist.

Sie forschen an Hundshaien – warum ist Ihre Wahl gerade auf diese Art gefallen?

Genau genommen über Anekdoten: Angler haben von Vorkommen um Helgoland berichtet. Früher wurden sogar schon einzelne Tiere markiert, die Jahre später vor Island und nahe den Azoren wiedergefangen wurden. Das ließ mich aufhorchen, denn Hundshaie gelten als gefährdet, und die Datenlage ist dünn.

Wie konnte man sich diese Markierungen vorstellen? Wie die Beringung von Vögeln?

Sehr ähnlich. Sie setzten voraus, die markierten Individuen später wiederzufangen, um den Anfangs- und den Endpunkt ihrer Reise zu kennen. Wir verwenden inzwischen aufschwimmende Sender, die uns auch über die Wanderwege selbst informieren.

Und das funktioniert wie?

Mit Hilfe eines erfahrenen Anglers konnten wir die Haie fangen und zügig einen Sender an der Rückenflosse befestigen. Dies muss möglichst stressarm erfolgen, damit sich die Tiere anschließend natürlich verhalten. Unsere Sender verbleiben 9 – 12 Monate am Tier, archivieren Daten, lösen sich dann ab und treiben an die Wasseroberfläche. Von dort übermitteln sie die gespeicherten Messdaten der Umgebungsbedingungen des Hais an einen Satelliten. Da die Haie ja unter Wasser bleiben, wo eine GPS-Position nicht gesendet werden kann, können wir die genauen Positionen der Individuen nur zweimal erhalten: Bei ihrer Besenderung und am Ende der Messperiode.

Aber wie kann man dann – ohne Positionsdaten zwischendurch – die Wanderwege aufzeigen?

Über eine Modellierung, die anhand der Topographie des Meeresbodens und der Kombination von gemessener Tiefe, Wassertemperatur und auch des Lichteinfalls in Abhängigkeit von der Tageszeit den Ort bestimmt, an den das Tier seit dem vorangegangenen Messpunkt mit der größten Wahrscheinlichkeit geschwommen ist. Das Modell konstruiert also die wahrscheinlichste Wanderroute.

Und was haben die Satelliten Ihnen über die Hundshaie verraten?

Dass sie sich tatsächlich nur während der Sommermonate im Seegebiet um Helgoland aufhalten. Alle 20 Hundshaie, die wir besendern konnten, sind im Herbst nach Südwesten abgewandert – über niederländische Gewässer an die britische Küste und zu den Kanalinseln. Besonders überrascht hat uns aber, dass vier Tiere bis in den offenen Atlantik gewandert sind und dabei tagsüber regelmäßig auf teils über 700 m Tiefe abtauchten.

Viele aquatische Organismen wandern. Und wohl immer steckt ein ökologischer Grund dahinter. Worin liegt der hier?

Die tägliche Vertikalwanderung ist eine gigantische Massenbewegung im Tierreich – und die Hundshaie machen mit. Offenbar suchen sie hauptsächlich die Tiefenschichten auf, in denen sich Kalmare aufhalten, die ihrerseits vertikal wandern. Wir vermuten also, dass die Hundshaie auf ihrer Langstreckenwanderung regelmäßig abtauchen, um ihrer Beute in die Tiefe zu folgen.

Aber das erklärt noch nicht, warum sich Hundshaie überhaupt in andere Meeresgebiete begeben. Warum tun sie das?

Wir gehen davon aus, dass es mit ihrem Reproduktionszyklus zu tun hat. Aber das Muster ist noch nicht komplett erkennbar. Wir brauchen dafür mehr Tiere und planen nun ein internationales Projekt, um die Markierungspunkte auch auf die anderen Lebensräume dieser fast weltweit vorkommenden Art ausdehnen zu können.

Welches ist aus Ihrer Sicht die dringendste Frage, die noch offengeblieben ist?

Um die Haie zu schützen, müssen wir ihre sensiblen Habitate kennen. Also: Welches sind die wichtigsten Reproduktionsgebiete, wo müssen sie sich aufhalten können, um ihre Fortpflanzung und das Aufwachsen ihrer Jungtiere zu sichern?

Herr Schaber, vielen Dank für das Gespräch.   

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Weiterführende Literatur (nature scientific reports):

Schaber, M., Gastauer, S., Cisewski, B. et al. Extensive oceanic mesopelagic habitat use of a migratory continental shark species. Sci Rep 12, 2047 (2022). https://doi.org/10.1038/s41598-022-05989-z

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