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Landwirtschaftliche geprägte Landschaft, im Vordergrund eine Bank, im Hintergrund ein Ort
© Johanna Fick
Landwirtschaftliche geprägte Landschaft, im Vordergrund eine Bank, im Hintergrund ein Ort
Institut für

LV Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen

Projekt

Wenn Regionen altern und schrumpfen: Anpassung und Bewältigung vor Ort (Harz-Studie)



Das Vorhandensein und die Qualität von Daseinsvorsorgeeinrichtungen, wie Kindertagesstätten, sind mit entscheidend für die Lebensqualität in ländlichen Räumen
© A. Tautz
Das Vorhandensein und die Qualität von Daseinsvorsorgeeinrichtungen, wie Kindertagesstätten, sind mit entscheidend für die Lebensqualität in ländlichen Räumen

Strategien der Daseinsvorsorge unter Bedingungen von Alterung und Bevölkerungsrückgang: Fallstudien im Ost- und Westharz

Die wiederbelebte Debatte um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und die Sicherung der Daseinsvorsorge nimmt in Deutschland vorrangig dünn besiedelte periphere Räume in den Blick. Wo Infrastrukturen längst ausgedünnt wurden, muss sich die Bevölkerung mit der verschlechterten Ausstattung arrangieren und Nachfrager wie Anbieter haben höhere Kosten zu tragen. Doch stehen langfristig Probleme der Tragfähigkeit und Erreichbarkeit auch vor solchen ländlichen Regionen, in denen sich der demographische und soziale Wandel erst allmählich vollzieht und wo dessen Folgen weniger augenfällig sind. Eine solche Region ist der Harz.

Hintergrund und Zielsetzung

Die Entscheidung für die Fallstudienregion Harz fiel aufgrund der ausgeprägten demographischen Alterung dieses Raumes: Ende 2008 war der Westharz (die Landkreise Osterode am Harz und Goslar) die ländliche Region in Deutschland mit dem höchsten Anteil an Hochbetagten im Alter von 75 Jahren und mehr. Das Projekt untersuchte je eine Kommune im Ost- und im Westharz: beides Kleinstädte mit mehreren dörflichen Ortsteilen, die seit längerem von Alterung und Schrumpfung (letztere stärker im Ostharz) gekennzeichnet sind.

Wir untersuchten, wie sich die Daseinsvorsorge in beiden Kommunen sowie den Landkreisen in den vergangenen 20 Jahren entwickelt hat und wie Entscheidungsträger und die ältere Bevölkerung die gegenwärtige Situation beurteilen. Die Betreuung von Kindern unter 6 Jahren, die schulische Bildung bis zur Sekundarstufe II, die medizinische Versorgung mit Haus- und Fachärzten, die Altenbetreuung und -pflege, die Internetanbindung, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und den Schülerverkehr, die Nahversorgung, den Brandschutz und technische Hilfeleistungen sowie das Freizeit- und Kulturangebot haben wir genauer untersucht.

Vorgehensweise

Das Projekt war explorativ ausgerichtet, das heißt, es war offen in Bezug darauf, welche Bereiche der Daseinsvorsorge wir genauer untersuchen wollten. Im Projektverlauf entwickelten wir ein heuristisches Modell von Anpassungsstrategien der Entscheidungsträger bezogen auf Einrichtungen der Daseinsvorsorge und eines von Bewältigungsstrategien der Bevölkerung in Bezug auf die Gestaltung ihres Alltags.

Daten und Methoden

2011/12 führten wir in den zwei Untersuchungskommunen sowie den Landkreisen 38 leitfadengestützte Interviews mit 48 Schlüsselpersonen aus Verwaltungen, Infrastruktureinrichtungen und Vereinen. Ebenfalls leitfadengestützt, doch mit einer weniger standardisierten Umsetzung, folgten 2011 fünf Gruppeninterviews mit 57 Einwohnern im Alter von 55 bis 98 Jahren im Rahmen örtlicher Seniorenkreise. Das so gewonnene Textmaterial werteten wir mittels qualitativer Inhaltsanalyse aus, um Maßnahmen und Strategien der Daseinsvorsorge herauszuarbeiten.

Unsere Forschungsfragen

1. Wie ist die Ausstattung der Daseinsvorsorge in ländlichen Gemeinden, und wie hat sich diese in den letzten beiden Jahrzehnten verändert?

2. Wie werden die Ausstattung und die Veränderungen der Daseinsvorsorge von Anbietern und Nachfragern bewertet?

3. Welche Anpassungs- und Bewältigungsstrategien verfolgen Anbieter und Nachfrager, um mit gegebenenfalls wahrgenommenen Versorgungsproblemen umzugehen?

Ergebnisse

  1. Den befragten Schlüsselakteuren gilt der demographische Wandel als zentrale Dimension der Entwicklung ihrer Region. Er wird einhellig als „Problem“ beschrieben. Zugleich ist das Thema nur schwach institutionalisiert, und ein strategischer – also langfristiger und die Einzelaktivitäten koordinierender – Umgang damit fehlt.
  2. Die lokale Ausstattung mit Einrichtungen der Daseinsvorsorge wird  überwiegend positiv bewertet. Negative Einschätzungen erfahren Schulwesen, medizinische Versorgung und zum Teil die ÖPNV-Anbindung in Harzgerode. Die Internetanbindung gilt in beiden Gemeinden als verbesserungswürdig. Der langfristige Wandel der Daseinsvorsorge ist in umfassendere gesellschaftliche und technologische Veränderungen einzubetten. Diese führen auch in demographischen Schrumpfungs- und Alterungsregionen nicht nur zu einem Rückgang der Nachfrage, wie etwa die Bereiche Kinderbetreuung oder Internetqualität zeigen.
  3. Die verantwortlichen und steuernden Akteure greifen aktiv in die Gestaltung der Daseinsvorsorge ein. In ihrem Handeln geht es sowohl um die Sicherung des Vorhandenen und die Verhinderung weiterer infrastruktureller Verschlechterungen als auch um qualitative Verbesserungen oder den Ausbau der Daseinsvorsorge. Dabei folgen Kommunen und Landkreise bei allen haushaltsbedingten Einschränkungen nicht nur Sachzwängen. Dennoch findet Anpassung noch immer vor allem ad hoc, problemgetrieben und ohne längere Planungsperspektive statt.
  4. Aus Sicht der Bevölkerung ist der Umgang mit einer veränderten Daseinsvorsorgeausstattung ein selbstverständlicher Teil ihres ländlichen Wohn- und Lebensmodells, doch wird dieser im Alter durch abnehmende Mobilität und kleiner werdende soziale Netze erschwert. Für die ältere Bevölkerung ließen sich drei wesentliche Bewältigungsstrategien identifizieren: die eigenständige Versorgung im vergrößerten Aktionsraum, die Alltagsbewältigung durch Rückgriff auf soziale Netzwerke und die Bewältigung durch eine Verringerung der Bedürfnisse. Zur Umsetzung wird vorrangig auf soziale und finanzielle Ressourcen zurückgegriffen, zum Teil sind unterstützende institutionelle Hilfen verfügbar.
  5. Ehrenamtliches Engagement spielt in ländlichen Kleinstädten sowie in Dörfern traditionell eine wichtige Rolle zur Vorhaltung vor allem von kulturellen Daseinsvorsorge­einrichtungen und des Brandschutzes. In der Fallstudienregion umfasst dies eine Bandbreite von selbstgewählten erfüllenden Tätigkeiten bis hin zu prekären Beschäftigungen mangels Alternativen. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass Ehrenamt auf unterstützende Strukturen mit Ressourcen und Verlässlichkeit angewiesen ist. Sonst wird das Ehrenamt entwertet.

Zeitraum

9.2010 - 12.2012

Weitere Projektdaten

Projektstatus: abgeschlossen

Publikationen zum Projekt

  1. 0

    Küpper P (2015) Wandel der Gesundheitsversorgung in alternden ländlichen Gemeinden - Erfahrungen aus dem Harz. Ber Geogr Landeskunde 89(3):217-235

  2. 1

    Steinführer A, Küpper P, Tautz A (2014) Adapt and cope: Strategies for safeguarding the quality of life in a shrinking ageing region. Comp Popul Stud 39(2):345-370, doi:10.12765/CPoS-2014-07en

  3. 2

    Steinführer A, Küpper P, Tautz A (2014) Anpassen und Bewältigen: Strategien zur Sicherung von Lebensqualität in einer schrumpfenden Alterungsregion. Comp Popul Stud 39(2):319-344

  4. 3

    Steinführer A (2014) Anpassung an den demographischen Wandel - was heißt das eigentlich? Land Ber 17(1):9-25

  5. 4

    Steinführer A, Küpper P, Tautz A (2014) Die Anpassungsfähigkeit der Kleinstädter : Akteursstrategien im Umgang mit dem Wandel der Daseinsvorsorge. Reihe Planungsrundsch 22:155-175

  6. 5

    Steinführer A, Küpper P, Tautz A (2014) Kleinstädte und Kleinstädter im soziodemografischen Wandel : Strategien zur Sicherung der Daseinsvorsorge. Forum Wohnen Stadtentwickl(6):301-306

  7. 6

    Steinführer A, Küpper P (2013) Lokale Lebensqualität: Definitionen und Gestaltungsoptionen unter Alterungs- und Schrumpfungsbedingungen. BBSR Online Publ 2013:16-30

  8. 7

    Steinführer A, Küpper P, Tautz A (2012) Gestaltung der Daseinsvorsorge in alternden und schrumpfenden Gemeinden - Anpassungs- und Bewältigungsstrategien im Harz. Braunschweig: vTI, 177 p, Landbauforsch SH 367

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn051501.pdf

  9. 8

    Steinführer A (2012) Vorsorgen für die nächste Generation? : Schulen in alternden Gemeinden. Ländl Raum (ASG) 62(4):46-47

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