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Dossier

Der Hering – zweimal hintereinander Fisch des Jahres

Michael Welling, Patrick Polte, Christopher Zimmermann, Norbert Rohlf | 03.01.2022


OF Institut für Ostseefischerei
SF Institut für Seefischerei PB Pressestelle

Der Fisch des Jahres wird vom Deutschen Angelfischerverband (DAFV) in Abstimmung mit dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) und dem Verband Deutscher Sporttaucher (VDST) gekürt. Zweimal hintereinander, 2021 und 2022, ist die Wahl auf den Hering gefallen.

Der atlantische Hering (Clupea harengus) ist ein weit verbreiteter Schwarmfisch, der in der freien Wassersäule (= pelagisch) lebt und in mindestens 14 Beständen von der Ostküste Nordamerikas über die Gewässer des Nordostatlantiks bis zur Nordsee und Ostsee vorkommt. Die silbrigen Tiere sind zwischen 30 und 40 cm lang und wiegen meist zwischen 120 und 200 Gramm. Heringsschwärme können mehrere Hunderttausend Einzelfische umfassen.

Kaum eine andere Fischart ist wirtschaftlich so bedeutend wie der Hering. Als wichtiges Handelsgut (Salzhering) hat er vor 800 Jahren zum Erstarken der Hanse beigetragen; noch heute ist er eine wichtige Zielart der deutschen Fischerei. In der Ostsee gilt der Hering neben dem Dorsch als „Brotfisch“ für die vielen kleinen Betriebe der Küstenfischerei. Sie sind durch den Rückgang des Herings- und des Dorschbestandes in der westlichen Ostsee und die daraus resultierenden drastischen Fangquotenkürzungen der letzten Jahre in ihrer Existenz bedroht.

Neben Berufsfischern haben es auch Freizeitangler auf den Hering abgesehen, vor allem an der Ostsee, wenn er zum Laichen in die flachen Küstengewässer zieht.

Atlantische Heringe leben im Übergangsgebiet zwischen nördlicher, gemäßigter und polarer Zone. Sie bewohnen die flacheren Bereiche der Kontinentalschelfe des Nordatlantiks. In der Nordsee bilden sie tagsüber häufig charakteristische „Heringspfähle“ – dichte Schwärme, die sich mit der Abenddämmerung für die Jagd von Zooplankton in kleine Gruppen auflösen. Das Leben im Schwarm hat unter anderem den Vorteil, dass Einzeltiere für Fressfeinde schwerer auszumachen sind.

Heringe zeigen komplexe und ausgedehnte Wanderungen zwischen Nahrungs- und Laichgründen und Überwinterungsplätzen. Die Tiere können mehr als 20 Jahre alt werden; sie hören gut und werden durch laute Geräusche verscheucht.

Heringe spielen eine bedeutsame Rolle im marinen Ökosystem. Sie stellen ein wichtiges Bindeglied zwischen verschiedenen Ebenen des Nahrungsnetzes dar: Heringe fressen Zooplankton, das an der Basis des Nahrungsnetzes steht, und vermitteln die aufgenommene Energie direkt zu den höheren trophischen Stufen, denn sie sind selbst begehrte Beute für andere Fische, Seevögel und Meeressäuger – und den Menschen. Anders als beispielsweise Sardellen, die ihre Beute aus dem Wasser filtrieren, orten Heringe ihre Beutetiere mit den Augen und jagen sie aktiv. Nur bei hoher Nahrungsdichte können sie auch zum Filtrieren übergehen.

Zur Familie der Heringe (Clupeidae) zählen auch andere, zum Teil ebenfalls wirtschaftlich sehr bedeutsame Fischarten wie Sprotten (Sprattus sp.), Sardine (Sardina pilchardus) oder Chilenischer Hering (Strangomera bentincki). Sie werden als Speisefisch oder zur industriellen Verwertung (Fischmehl/-öl) genutzt.

Bei der Fortpflanzung setzen Heringe auf Masse: Ein Heringsweibchen laicht zwischen 20.000 und 150.000 Eier, die an bodennahe Strukturen festgeklebt werden, in der Nordsee zum Beispiel auf flachen Kiesbänken, in der Ostsee an ufernahen Wasserpflanzen. Brutpflege findet nicht statt. Nach 10 bis 14 Tagen, je nach Wassertemperatur, schlüpfen aus den Eiern 5 bis 7 mm lange transparente Larven, die sich zunächst von Ihrem Dottersack ernähren und danach winzige Planktonorganismen erbeuten. Ab einer Länge von 14 mm entwickeln sich die Flossenstrahlen der Schwanz- und Rückenflossen und die Larven werden zu mobileren Schwimmern. Mit einer Länge von ungefähr 50 mm wandeln sich die Larven in Jungheringe.

Nach ein bis zwei Jahren stoßen sie zum elterlichen Bestand und kehren mit den anderen erwachsenen Tieren mit etwa drei Jahren zur Fortpflanzung in ihre Aufwuchsgewässer zurück.

Kaum eine andere Fischart hat eine so große wirtschaftliche Bedeutung wie der Hering. Die Heringsbestände des Nordostatlantiks haben sich allerdings in den vergangenen Jahren sehr unterschiedlich entwickelt, mit einer Laicherbiomasse von 17.000 Tonnen bis 3,9 Millionen Tonnen (2019/20). Für die meisten Heringsbestände erfolgt jährlich eine Bestandsberechnung durch den Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES). Ziel ist eine Bewirtschaftung nach dem Konzept des höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrags (Maximum Sustainable Yield, MSY), bei dem die Fangmengen langfristig optimiert werden.

Bei den Anlandungen der Hochsee- und Küstenfischerei in Deutschland spielt der Hering eine dominierende Rolle. Durchschnittlich 18.000 Tonnen bzw. 35 % der Anlandungen entfielen in den letzten Jahren auf ihn. Damit rangiert er deutlich vor Kabeljau/Dorsch und Makrele als nächsthäufige Fischarten. In den letzten Jahren gingen die Anlandungen allerdings stark zurück, unter anderem wegen der desaströsen Lage in der Ostsee. Nähere Angaben gibt der Steckbrief zur Meeresfischerei in Deutschland.

Aktuell zeigt sich, dass mehreren Beständen die Veränderung der Umweltbedingungen zu schaffen macht. So wird die Nachwuchsproduktion des Herings der westlichen Ostsee offenbar durch den Klimawandel negativ beeinflusst (s. Der Hering in der Klimafalle). Außerdem können sich durch Überfischung oder Änderung der Umweltbedingungen die Verbreitungsmuster der Bestände verändern, was zu Problemen bei der Aufteilung der Fangmengen auf die einzelnen Küstenstaaten führen kann (z.B. beim Norwegischen Frühjahrslaicher).

In der Nordsee führt der Brexit zu deutlichen Verschiebungen der Fanganteile zwischen den Anrainerstaaten, denn die britischen Hoheitsgewässer sind außerordentlich reich an erwachsenen Heringen. Die kaum befischten Jugendstadien leben dagegen vor allem in deutschen und dänischen Gewässern. Das Post-Brexit-Abkommen legt fest, dass sich der EU-Anteil an der Heringsfischerei in britischen Gewässern von 75,9 % (2020) auf 71,3 % (2021) und weiter auf 67,7 % (2025) reduziert.

Seit einigen Jahren spielt auch der Fang laichreifer Heringe zur Gewinnung von Rogen für den asiatischen Markt eine wichtige Rolle. In Japan zum Beispiel ist Heringsrogen als unverzichtbares Geschenk bei Hochzeiten sehr begehrt. Laichreife Heringe erzielen daher häufig höhere Preise.

Heringe als Schwarmfische werden häufig mit pelagischen Schleppnetzen gefangen. Diese Netze sind für den Einsatz im freien Wasserkörper konzipiert und haben keinen Einfluss auf den Meeresboden. Die Beifangraten unerwünschter Arten sind in der Regel sehr niedrig (deutlich unter 2 % des Gesamtfangs).

Eine weitere Fangmethode ist der Einsatz von Ringwaden. Dabei handelt es sich um mehrere 100 bis 1000 Meter lange und 100 bis 200 Meter in die Tiefe reichende Netze, die ringförmig um einen ganzen Schwarm ausgelegt werden. Anschließend wird das Netz von unten zugezogen, sodass große Teile des Schwarms gefangen werden können. Zwar ist diese Fischerei recht selektiv, aber auch sehr effektiv. Nach der Einführung der Ringwaden in den 1960er-Jahren führte ihr Einsatz zum Zusammenbruch vieler pelagischer Bestände, so auch des Nordseeherings (Schließung der Fischerei 1977-1982, danach schnelle Erholung) und des norwegischen Frühjahrslaichers (Erholung dauerte über 20 Jahre).

In flachen Küstengebieten, z.B. in der Ostsee, kommen Stellnetze zum Einsatz, die mehrere 100 Meter lang sein können. Sie werden vertikal in den Wasserkörper eingebracht und am Boden verankert. Häufig kann man in der Ostsee kleine rote Wimpel im Wasser erkennen, die die Enden der Stellnetze markieren. Fische bleiben mit dem Körper, den Flossen oder den Kiemendeckeln darin hängen oder verwickeln sich. Durch passende Wahl der Maschenweite können Stellnetze die Zielart sehr selektiv fangen. Es kann allerdings zum Beifang von Seevögeln und Meeressäugern wie Schweinswalen kommen. Das Thünen-Institut arbeitet hier an Lösungen.

Eine detaillierte Übersicht über die verschiedenen, in der Fischerei weltweit eingesetzten aktiven und passiven Fanggeräte gibt das Web-Portal Fischbestände online.

Die Eigenschaft des Herings als Schwarmfisch findet im Frühjahr seine optische Entsprechung auch über Wasser: Zahlreiche Angler stehen dann an der Ostseeküste, zum Teil dicht gedrängt auf Brücken und Molen, um die laichbereiten Fische zu fangen. Auch per Boot und Kutter sind Freizeitangler dann unterwegs, um gezielt die Schwärme anzufahren. Massenfänge von mehreren hundert Stück pro Tag sind durchaus möglich. Das Heringsangeln ist ein Saisongeschäft, das bis etwa Mitte Mai dauert. Wenige Angler finden sich auch im Herbst noch ein, um gezielt die kleineren Herbstschwärme zu befischen.

Eine repräsentative Telefonbefragung der deutschen Bevölkerung aus dem Jahr 2015, durchgeführt vom Thünen-Institut für Ostseefischerei, hat ergeben, dass an der Ostsee zirka 161.000 deutsche Meeresangler aktiv sind, von denen rund 50.000 auf Hering zielen. Viele dieser Angler stammen nicht von der Küste, sondern reisen als Tagestouristen teilweise von weit her an und unterstützen mit ihren Ausgaben die lokale Wirtschaft der meist strukturschwachen Küstenregionen.

Im Jahr 2015 könnte die durch deutsche Ostsee-Angler entnommene Gesamtfangmenge Hering knapp 730 Tonnen betragen haben (6,6 Millionen Fische). Seither dürften die Anglerfänge jedoch deutlich abgenommen haben.

Viele Angler sind an der Natur interessiert und unterstützen die Wissenschaft, indem sie biologische Daten der Angelfänge (Länge, Gewicht) und Proben gefangener Heringe bereitstellen. Auf diese Weise helfen sie mit, die Kenntnisse zu Bestands- und Altersstrukturen zu verbessern (Citizen Science). Nähere Infos gibt der Beitrag über Erhebungsmethoden.

2021 ist die europaweit größte Telefonbefragung zum Thema Angeln in Deutschland angelaufen, für die 150.000 Haushalte kontaktiert werden. Die Befragung läuft bis Mitte 2022; mit ersten Ergebnissen ist in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen.

Der Pro-Kopf-Verbrauch an Fisch lag in Deutschland in den letzten Jahren zwischen 13 und 16 Kilogramm. Dabei hat Hering einen Anteil von etwa 9 % am Verzehr und steht damit an vierter Stelle der wichtigsten Fischarten auf dem deutschen Markt. Dieser Anteil sinkt allerdings seit Jahren; vor allem junge Konsumenten interessieren sich weniger für diesen Fisch. Dabei weisen Heringe einen hohen Eiweißgehalt auf, sind fettreich mit günstiger Fettsäuren-Zusammensetzung und haben hohe Gehalte an den Spurenelementen Iod und Selen. Ein erheblicher Teil der angelandeten Heringe wird zu Fischkonserven/Dosenfisch verarbeitet, darüber hinaus werden auch zahlreiche Spezialitäten wie Matjes, Rollmops oder Bückling angeboten.

Sehr beliebt sind in Deutschland die Matjes, entweder in Sauerrahm- oder Sahnesoße oder als Fischbrötchen. Für Matjes werden Heringe verwendet, die vor ihrer Fortpflanzungszeit Ende Mai/Anfang Juni gefangen werden und besonders fettreich sind. Traditionell hergestellte Matjes reifen durch fischeigene Enzyme in einer Salzlake und zeichnen sich durch einen milden Geschmack aus.

Der Bismarckhering besteht aus Heringfilets, die in einer sauren Marinade aus Essig, Speiseöl, Zwiebeln und Gewürzen eingelegt werden. Welche Verbindung es zu dem ersten deutschen Reichskanzler gibt, ist umstritten; es kursieren verschiedene Herleitungen. Sauer eingelegte Heringslappen werden, aufgerollt und um eine Gurke und/oder Zwiebelscheibe gewickelt und mit Holzstäbchen fixiert, als Rollmops bezeichnet. Rollmops gilt als Spezialität der Berliner Küche.

Grüne Heringe sind frische, also nicht eingelegte Heringe. Sie werden mit Mehl bestäubt, in der Pfanne gebraten („Hering Müllerin“) und warm verzehrt. Werden gebratene Heringe anschließend für einige Tage in eine Marinade eingelegt, spricht man von Bratheringen. Sie werden kalt serviert.

Der Bückling ist ein geräucherter Hering mit Kopf. Traditionell werden zur Zubereitung Heringe verwendet, die im Hochsommer nach Ende der Fangsaison für Matjesheringe gefangen wurden.

In Skandinavien ist eine viel größere Vielfalt von Heringsmarinaden und -konserven erhältlich („Sild“). Berühmtheit hat der nordschwedische Surströmming erlangt, eine durch Gärung von Milchsäurebakterien in der Dose konservierte Form mit intensivem, fauligem Geruch. Der Transport von Surströmming-Konserven ist bei manchen Fluggesellschaften verboten, da die Konserven bei verändertem Kabinendruck platzen können. Für die meisten mitteleuropäischen Mägen ist diese Spezialität nur mit größeren Mengen Aquavit verdaulich.

Salzhering: Er hat in vielen Regionen Europas die Essgewohnheiten des Mittelalters geprägt, den Aufstieg der Hanse zu einem mächtigen Handelsverbund beflügelt und zahlreichen Städten zu wirtschaftlicher Blüte verholfen (s. den Beitrag zum Hamburger Bürgermeister Johann Anderson und seiner Polarstamm-Theorie). Schon im 11./12. Jahrhundert wurde das Verfahren, Hering durch Einsalzen zu konservieren, an verschiedenen Orten routinemäßig praktiziert. Damit stand eine nahrhafte Proteinquelle zur Verfügung, die sich auch ins Binnenland transportieren ließ. Besonders lange haltbar waren Heringe, die zunächst in Salzlake eingelegt und dann geräuchert wurden. Sie wiesen eine bräunliche Farbe auf, hatten einen durchdringenden Geruch und unattraktiven Geschmack, konnten aber in Fässern quer durch Europa transportiert werden und waren ein Arme-Leute-Essen. Besondere Bedeutung hatte der Salzhering auch als Fastenspeise, da Fisch in der christlichen Lehre nicht als Fleisch galt, und als Schiffsproviant für lange Seereisen. Eine Spezialform des Salzherings ist der heute noch sehr nachgefragte Matjes (s.o.).

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