Begutachtung der Relevanz der Auswirkung des Kühlwassers des geplanten Steinkohlekraftwerks in Lubmin
Der Hering der westlichen Ostsee laicht vor allem im Greifswalder Bodden (GWB). Würde der geplante Neubau eines Kohle-Kraftwerkes den Laicherfolg des Herings beeinträchtigen? Wir haben dazu ein Fischereigutachten erarbeitet.
Im Frühjahr 2009 beauftragten die Staatlichen Ämter für Natur- und Umweltschutz Mecklenburg-Vorpommerns das Thünen-Institut für Ostseefischerei mit einem Fischereigutachten: Wir sollten einschätzen, ob es den Fischbeständen im Greifswalder Bodden und insbesondere dem Rügenschen Frühjahrshering maßgeblich schaden würde, ein Steinkohle- und zwei Gas&Dampf-Kraftwerke am Standort Lubmin neu zu errichten. Da der GWB Hauptlaichgebiet des Heringsbestandes in der westlichen Ostsee ist, hatten wir zu klären, ob die Reproduktion des Herings durch den Kühl- und Abwasserausstrom der Kraftwerke geschädigt werden könnte und, wenn ja, ob der Hering der westlichen Ostsee und damit die internationale Fischerei signifikant negativ beeinflusst würden.
Im Frühjahr 2009 untersuchten wir das Laichgeschehen im GWB. Die Felduntersuchungen ergänzten wir um eine umfassende Literaturstudie und bewerteten sie abschließend.
Makrophyten sind für den Hering das hauptsächliche Laichsubstrat. Auf diese Seegräser und Großalgen legt er seine Eier ab. Sie haften an der Oberfläche, falls diese sauber und haftfähig ist. Um mögliche Auswirkungen abschätzen zu können, mussten wir demzufolge die Verteilung der Makrophyten sowohl im Bereich der Abwasserfahne als auch – für die Bewertung der quantitativen Bedeutung dieser Gebiete im Abwasserbereich – im gesamten Greifswalder Bodden erfassen. Nur durch den Vergleich zwischen potentiell betroffenen Gebieten und der Gesamtfläche des Boddens konnten wir quantitativ bewerten, wie Kühlwasser das Geschehen potentiell beeinflusst.
Mit den Arbeiten wollten wir speziell folgende Fragen im Zusammenhang mit dem Kraftwerk beantworten:
Als kostengünstigste und schnellste Möglichkeit, das Vorkommen und die Ausdehnung von Makrophyten im Greifswalder Bodden aufzunehmen, erwiesen sich hochauflösende Luftbilder. Diese Luftbilder haben Spezialisten der Universität Rostock mit Hilfe geographischer Informationssysteme (GIS) archiviert und analysiert. Parallel dazu verifizierten Taucher die durch die Luftbilder erhaltene Information über potentielle Laichsubstrate („ground truthing“). Während der Taucheinsätze wurden die Laichhabitate auch näher charakterisiert (lebende/abgestorbene Eier, Einfach-/Mehrfachbelaichung, Entwicklungsstadien etc.).
Mit leichtem zeitlichen Versatz filmten wir mit Hilfe geschleppter Videoschlitten auf ausgewählten Transekten den Meeresboden, um zum einen die Luftbildaufnahmen durch eine zweite Methode zu verifizieren und zum anderen Tiefenbereiche abzudecken, die von den Luftbildern u.U. nicht mehr erfasst werden können. Luftbilder und Videoaufnahmen wurden anschließend georeferenziert und verschnitten, um eine Gesamtanalyse der Makrophytenverteilung über alle Tiefenstufen zu ermöglichen.
Nah- und Wirkbereich definierten wir im analytischen und bewertenden Teil des Gutachtens genauer als den Bereich, in dem sich während mindestens 10% des Monats März 2002 (Wirkbereich 1) und weiter einschränkend über mindestens 3,5 Tage durchgehend (Wirkbereich 2) die Bodentemperatur um mindestens 1°C durch die Kühlwassereinleitung erhöht hätte.
Im Einflussbereich des erwärmten Kraftwerksabwassers wiesen wir ausgedehnte Flächen mit Makrophytenbewuchs und zwei wichtige Laichgebiete des Herings nach, die für das Laichgeschäft des Herings besonders bedeutsam sind. Vom Betrieb der geplanten Kraftwerke am Standort Lubmin erwarten wir zwar keine unmittelbaren negativen Auswirkungen auf die Fischerei. Kombinierten wir aber den als moderat bis realistisch angenommenen definierten Flächenbereich mit dem „worst case-Szenario“ für die Wirkung der Stressoren auf die Heringsreproduktion, konnten wir ableiten, wie groß der Einfluss auf den Bestand und die kommerzielle internationale Fischerei sein könnte. Dabei stellten wir fest, dass die Fischerei mit Einbußen rechnen müsste. Die Abwassereinleitung wird sich hauptsächlich auf die Rekrutierung des Frühjahrslaichenden Herings der westlichen Ostsee auswirken – so die Prognose. Im schlechtesten Fall schätzen wir die Reduzierung der Nachwuchsproduktion auf 4 bis 7%. Im Vergleich zur hohen natürlichen Variabilität ist eine solche Auswirkung zwar erheblich, aber weder katastrophal noch irreversibel. Aus den Ergebnissen unserer Studie ließen sich – mit Blick auf die kommerzielle Fischerei und die Biologie mariner genutzter Fischarten – zwar keine Gründe ableiten, das geplante Steinkohle-Kraftwerk abzulehnen, wohl aber Empfehlungen, wie potentielle Auswirkungen des Einleitens von Kühlwasser, insbesondere das Kumulieren von Stressoren auf Heringslaich und Larvenentwicklung in einem engen Zeitfenster zu minimieren wären.
Die umfangreichen Ergebnisse des Gutachtens wurden veröffentlicht.
3.2009 - 8.2009
Projekttyp:
Projektstatus:
abgeschlossen
Anzahl der Datensätze: 2